Rechtstipp im Zivilrecht
Arbeitslosengeld II u.U. nicht bei pfändbarem Arbeitseinkommen zu berücksichtigen
Für die Berechnung des pfändbaren Arbeitseinkommens ist Arbeitslosengeld II dann nicht mit dem Arbeitseinkommen zusammenzurechnen, wenn der Schuldner nur deshalb Arbeitslosengeld II erhält, weil sein Arbeitseinkommen bei anderen Personen berücksichtigt wird, die mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft leben
In dem von dem Neunten Zivilsenat des Bundesgerichtshofes (BGH) am 25.10.2012 per Beschluss geklärten Sache (Aktenzeichen IX ZB 263/11) verlangte der Treuhänder Zahlungen aus der Abtretung von pfändbaren Lohnanteilen des Schuldners in der Wohlverhaltensperiode.
Der Schuldner bezog nach der Aufhebung des Insolvenzverfahrens ab dem 15. September 2009 aus einem Arbeitsverhältnis mit der Bundesagentur für Arbeit ein monatliches Nettoeinkommen von rund 1.400 €. Zudem erhielt er ergänzend Arbeitslosengeld II in Höhe von monatlich 392,43 €, da er zusammen mit seiner Lebensgefährtin, deren drei Kindern sowie einem gemeinsamen Kind in einer Bedarfsgemeinschaft gemäß § 7 Abs. 2 und 3 Sozialgesetzbuch II (SGB II) lebte.
Der Treuhänder hat beim Insolvenzgericht beantragt anzuordnen, dass die Arbeitseinkünfte des Schuldners mit den ergänzend bezogenen Sozialleistungen gemäß § 850e Nr. 2a ZPO zusammengerechnet werden und der pfändbare Anteil bei der Arbeitgeberin zu entnehmen ist.
Das Insolvenzgericht hat diesen Antrag zurückgewiesen. Die sofortige Beschwerde des Treuhänders hat keinen Erfolg gehabt. Mit der vom Beschwerdegericht durch den Einzelrichter zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Treuhänder sein Begehren weiter.
Auf die Rechtsbeschwerde unterliegt die Entscheidung jedoch wegen fehlerhafter Besetzung des Beschwerdegerichts der Aufhebung von Amts wegen, da der Einzelrichter in Rechtssachen, denen er grundsätzliche Bedeutung beimisst, zwingend das Verfahren an das Kollegium zu übertragen hat.
Bejaht er mit der Zulassungsentscheidung zugleich die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, ist seine Entscheidung objektiv willkürlich und verstößt gegen das Verfassungsgebot des gesetzlichen Richters nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, so dass die angefochtene Entscheidung hier aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen ist, § 577 Abs. 4 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO).
Für das weitere Verfahren weist der Neunte Senat des BGH aber darauf hin, dass das Beschwerdegericht in der Sache richtig entschieden hat:
Die Befugnis des Treuhänders, beim Insolvenzgericht in der Wohlverhaltensperiode die Anordnung der Zusammenrechnung von Arbeitseinkünften des Schuldners mit pfändbaren Sozialleistungen zu beantragen, folgt aus § 292 Abs. 1 Satz 3 InsO in Verbindung mit § 36 Abs. 1 Satz 2, Abs. 4 Satz 2 InsO, § 850e Nr. 2a ZPO.
Die Abtretungserklärung des Schuldners erfasst nach § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO, § 400 BGB nur die pfändbaren Teile seiner Einkünfte.
Die Höhe der unpfändbaren Einkommensteile richtet sich entsprechend § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO nach den Pfändungsgrenzen des Einzelzwangsvollstreckungsrechts. Die Zusammenrechnung von Arbeitseinkünften mit Sozialleistungen kann zu einer Überschreitung der Pfändungsgrenzen des § 850c ZPO und damit zu abführbaren Beträgen an den Treuhänder führen.
Die Voraussetzungen, unter denen Sozialleistungen gemäß § 850e Nr. 2a ZPO mit Arbeitseinkünften zusammengerechnet werden dürfen, liegen hier nach dem Wortlaut dieser Norm vor. Der Antrag des Treuhänders bezieht sich auf pfändbare laufende Geldleistungen im Sinne von § 54 Abs. 4 SGB I, nicht auf unpfändbare Dienst- oder Sachleistungen nach § 54 Abs. 1 SGB I.
Ein Ausnahmetatbestand gemäß § 54 Abs. 3 und 5 SGB I greift nicht ein.
Eine Billigkeitsprüfung ist hier nach der Neufassung des § 850e Nr. 2a ZPO nicht mehr durchzuführen.
Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung verbieten es jedoch, das vom Schuldner bezogene Arbeitslosengeld II unter den im Streitfall gegebenen Umständen mit seinem Arbeitseinkommen zusammenzurechnen, da die Zuerkennung öffentlicher Leistungen ausschließlich auf der Art der Leistungsberechnung beruht:
Die Regelungen über die Zusammenrechnung mehrerer Arbeitseinkommen nach § 850e Nr. 2 ZPO und über die Zusammenrechnung von Arbeitseinkommen mit laufenden Geldleistungen nach dem Sozialgesetzbuch gemäß § 850e Nr. 2a ZPO dienen dem Interesse des Gläubigers an einer Forderungsbefriedigung bei Sicherung der menschenwürdigen Existenz des Schuldners.
Bezieht der Schuldner verschiedene Einkünfte, ist ihm der pfändungsfreie Betrag nicht auf jedes Einkommen zu gewähren, sondern er ist grundsätzlich ausreichend geschützt, wenn das Gesamteinkommen in Höhe des gesetzlich vorgesehenen Betrags pfändungsfrei bleibt.
In Anbetracht dieses Normzwecks verbietet sich hier die Hinzurechnung der dem Schuldner gewährten Sozialleistung zu seinem Arbeitseinkommen. Der Schuldner lebt mit seiner Lebensgefährtin und deren Kindern sowie einem gemeinsamen Kind zusammen und bildet mit ihnen eine Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Abs. 3 Nr. 1, Nr. 3 Buchst. c und Nr. 4 SGB II. Bei der Berechnung der Hilfebedürftigkeit der Mitglieder dieser Bedarfsgemeinschaft wird das Einkommen des Schuldners gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB II anteilig berücksichtigt. Infolge dieser rechnerischen Aufteilung des Arbeitseinkommens des Schuldners gilt auch dieser selbst als hilfebedürftig, obwohl er Arbeitseinkommen bezieht, das seinen sozialrechtlichen Bedarf übersteigt.
Die Gewährung von Arbeitslosengeld II /ALG II) an den Schuldner beruht somit darauf, dass sein Einkommen sozialrechtlich anderen Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft zugeordnet wird, so dass dieses ALG II hier dem Schuldner nicht zusätzlich zu seinem Arbeitseinkommen zur Verfügung steht.
Es ersetzt in dem vorliegenden Fall vielmehr einen Teil des Arbeitseinkommens, der innerhalb der Bedarfsgemeinschaft sozialrechtlich anders zugeordnet wird.
Daher ist die Zusammenrechnung der Sozialleistung und des Arbeitseinkommens zum Zweck einer einheitlichen Bestimmung des pfändbaren Betrags hier nicht zulässig.