Rechtstipp im Verkehrsrecht
Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen - Erklärungen durch Verteidiger mit Vertretungsvollmacht
LG Wuppertal, Beschluss vom 22.08.2014 (26 Qs-523 Js 238/14-193/14 - 20 OWi 42/14 Amtsgericht Solingen)
Allein die Frage, ob ausnahmsweise von der Verhängung eines Fahrverbotes abgesehen werden kann, hängt nicht von einem persönlichen Eindruck des Gerichts von einem Betroffenen in der Hauptverhandlung ab, so dass dieser Gesichtspunkt einer Entbindung von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen nicht entgegensteht (bestätigt OLG Hamm, Beschluss v. 01.07.2008, 5 Ss OWi 415/08) (Leitsatz vom Einsender).
Sachverhalt:
Das Amtsgericht hatte Termin zur Hauptverhandlung über den Einspruch der Betroffenen auf den 23.05.2014 anberaumt. Die Betroffene erschien zum Termin nicht. Ihr Verteidiger beantragte, die Betroffene von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen zu entbinden und gab für die Betroffene eine Einlassung zur Sache und zur Person ab. Das Amtsgericht gab dem Antrag nicht statt und verwarf den Einspruch mit Urteil vom 23.05.2014. Den Wiedereinsetzungsantrag der Betroffenen hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 24.06.2014 als unbegründet verworfen, da die Fristversäumnis nicht unverschuldet gewesen sei, die Betroffene hätte nicht auf den Rat des Verteidigers vertrauen dürfen, das Amtsgericht werden dem Antrag nach § 73 Abs. 2 OWiG folgen müssen. Gegen diesen Beschluss hat die Betroffene form- und fristgerecht sofortige Beschwerde eingelegt. Nach ihrer Auffassung war ihr Nichterscheinen entschuldigt, weil sie einerseits zu Recht auf einen Ratschlag ihres Verteidigers vertraut hätte, dass das Gericht sie von der Pflicht zum Erscheinen auf seinen Antrag hin entbinden werde, und im Übrigen die Voraussetzungen für eine Entbindung vorgelegen hätten. Die Staatsanwaltschaft hat beantragt, den angefochtenen Beschluss aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung zu verwerfen.
Das Landgericht hat den Beschluss vom 24.06.2014 aufgehoben und der Betroffenen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. Die form- und fristgerecht erhobene und begründete Rechtsbeschwerde gegen das Verwerfungsurteil ist damit gegenstandslos
Gründe:
Das Amtsgericht hätte die Betroffene auf den Antrag ihres Verteidigers hin von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbinden müssen mit der Folge, dass die Betroffene den Termin nicht schuldhaft versäumt hat. Gem. § 73 Abs. 2 OWiG ist das Gericht verpflichtet, ohne dass insoweit ein Ermessensspielraum besteht, einen Betroffenen von der Pflicht um persönlichen Erscheinen auf seinen Antrag hin zu entbinden, wenn er sich zu Sache geäußert oder erklärt hat, sich in der Hauptverhandlung nicht weiter einzulassen, und seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts nicht erforderlich ist. Diese Voraussetzungen waren hier erfüllt, nachdem der Verteidiger in befugter Vertretung der Betroffenen eine - wenn auch knappe - Einlassung zur Sache abgegeben und im Übrigen zum Ausdruck gebracht hatte, dass eine weitergehende Einlassung nicht erfolgen werde.
Soweit das Amtsgericht bei seiner Entscheidung darauf abgestellt hat, dass, da es um die Frage des Fahrverbots gegangen sei, insoweit noch weiterer Aufklärungsbedarf bestanden habe, stand dies einer Entpflichtung nicht entgegen. Aufgrund der Erklärung des Verteidigers war klar, dass von der Betroffenen, auch wenn sie sich teilweise zum Tatvorwurf geäußert hatte, in der Hauptverhandlung keine weitere Sachaufklärung zu erwarten war, zumal da weitergehende Fragen auch durch den bevollmächtigten Verteidiger gemäß § 73 Abs. 3 OWiG hätten beantwortet werden können, ohne dass die Anwesenheit der Betroffenen erforderlich war. Allein die Frage, ob ausnahmsweise von der Verhängung eines Fahrverbotes abgesehen werden kann, hängt nicht von einem persönlichen Eindruck des Gerichts von der Betroffenen in der Hauptverhandlung ab, so dass dieser Gesichtspunkt einer Entbindung von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen nicht entgegenstand (vgl. OLG Hamm, Beschluss v. 01.07.2008, 5 Ss OWi 415/08).
Hinweis für die Praxis:
Mal wieder zeigt sich, dass man als Verteidiger immer mit Überraschungen rechnen muss. An sich gefestigte Rechtsprechung wird mittels Verwerfungsurteil „über Bord geworfen“. Begründung: Es bestehe noch Aufklärungsbedarf, bzgl. der Voraussetzungen für die Möglichkeit eines Absehens von der Regelfolge der BKatVO und der Frage vorsätzlicher oder fahrlässiger Begehungsweise. Keine der dafür eventuell aufzuklärenden Tatsachen rechtfertigt jedoch eine Ablehnung eines Antrages nach § 73 Abs. 2 OWiG, sofern dieser Antrag sowohl formal als auch inhaltlich ordnungsgemäß gestellt und begründet wird. Der Verteidiger sollte hier auf jeden Fall standhaft bleiben, auch wenn es einen erheblichen Arbeitsaufwand nach sich zieht. Unabhängig von dem Wiedereinsetzungsantrag und einer eventuellen, sofortigen Beschwerde gegen den ablehnenden Beschluss muss auf jeden Fall unter Beachtung der Fristen eine (Zulassungs-)Rechtsbeschwerde form- und fristgerecht eingelegt und begründet werden. Aber Vorsicht ist angebracht, was das Vertrauen eines Betroffenen auf den Rat des Verteidigers angeht: Das Landgericht hat sich mit dieser Frage nicht auseinandergesetzt und die Aufhebung des Beschlusses des Amtsgericht Solingen einzig und allein auf die fehlerhafte Ablehnung des Antrages nach § 73 Abs. 2 OWiG gestützt.