Rechtstipp im Strafrecht
Keine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt, 64 StGB bei Schmuggel geringer Mengen von
1. Allein die Gefahr des Erwerbs geringer Betäubungsmittelmengen zum Eigenkonsum kann eine Unterbringung nach § 64 StGB nicht rechtfertigen.
2. Nach der gesetzlichen Wertung des § 29 Abs. 5 BtMG wiegt die Einfuhr nicht wesentlich schwerer als andere Erwerbsformen.
OLG Düsseldorf, Beschl. v. 22.11.2011 - III - 3 RVs 138/11
I. Sachverhalt
Das AG - Jugendschöffengericht - in S. hat den Angeklagten unter anderem wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln zu einer Jugendstrafe von 6 Monaten und dessen Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB angeordnet. Nach der Beweisaufnahme stand fest, dass der Angeklagte am 18.11.2009 in K. aufgegriffen wurde, nachdem er zuvor 1,6 Gramm Marihuna in den Niederlanden erworben und in die Bundesrepublik eingeführt hatte. Der hinzugezogene Sachverständige bekundete, dass der Angeklagte abhängig von Canabinoiden sei und an einer endogenen psychiotischen Erkrankung aus dem Formenkreis der Schizophrenie leide. Ferner stellte der Sachverständige dar, dass der Angeklagte einen Hang habe, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen und dass der Angeklagte weiterhin Straftaten im Zusammenhang mit seiner Betäubungsmittelabhängigkeit begehen wird. Darüber hinaus gehende Feststellungen dazu enthält das Urteil nicht, lediglich den Hinweis auf eine frühere Verurteilung wegen unerlaubter Einfuhr von 1,8 Gramm Mariuhana. Das AG in S. ordnete die Unterbringung nach § 64 StGB an, da es die Ansicht vertrat, dass die Einfuhr geringer Mengen von Betäubungsmitteln eine erhebliche Straftat im Sinne des § 64 StGB darstellt.
II. Entscheidung
Gemäß § 64 StGB soll das Tatgericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn eine Person den Hang hat, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen und wegen einer rechtswidrigen Tat, die auf den Hang zurückgeht, verurteilt wurde, wenn die Gefahr besteht, dass die Person in Folge ihres Hanges weitere erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Nach Ansicht des OLG begegnet die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt in diesem Fall insoweit durchgreifenden Bedenken, als die Gefahr der Begehung künftiger erheblicher rechtswidriger Taten nicht belegt sei. Das OLG führt hierzu aus, dass Gegenstand der bisherigen Betäubungsmitteldelikte des Angeklagten die Einfuhr geringer Cannabismengen zum Eigenkonsum (zuletzt am 30. Januar 2009 Einfuhr von 1,8 Gramm Marihuana und am 18. November 2009 Einfuhr von 1,6 Gramm Marihuana) sei. Zwar ließen diese Umstände nach Ansicht des OLG in Anbetracht der unbehandelten Cannabisabhängigkeit auch künftig vergleichbare Taten erwarten. Allein die Gefahr des Erwerbs geringer Betäubungsmittelmengen zum Eigenkonsum könne die Unterbringung gemäß § 64 StGB indes nicht rechtfertigen (vgL BGH NStZ 1994, 280; BeckRS 2004, 08119; OLG Koblenz BeckRS 2011,01377; Körner, BtMG, 6. Aufl. § 35 Rdn. 494; Weber, BtMG, 3. Aufl, Vorbem. zu §§ 29 ff. Rdn. 1181).
Das OLG begründet seine Ansicht mit der gesetzlichen Wertung des § 29 Abs. 5 BtMG. Danach könne entgegen der Auffassung des Amtsgerichts auch nicht davon ausgegangen werden, dass bei der Beschaffung von Betäubungsmitteln in geringer Menge zum Eigenverbrauch die unerlaubte Einfuhr wesentlich schwerer wiege als sonstige Erwerbsformen.
Bedeutung für die Praxis
„Schmuggel ist schlimmer als Besitz?“
Mit dieser landläufig weitverbreiteten Meinung sieht sich der Verteidiger nicht selten konfrontiert - auch an Amtsgerichten - mit den entsprechenden Rechtsfolgen. Auch die Vorlage der einschlägigen Senatsrechtsprechung des BGH im Rahmen der Hauptverhandlung fruchtet nicht zwingend. Es wurde in diesem Fall tatsächlich entgegnet, „Schmuggel ist schlimmer als Besitz!“. Das mag im Allgemeinen so sein, allerdings nicht auf der Ebene der Einordnung der Tat als Voraussetzung für eine Einweisung nach § 64 StGB. Zutreffend stellt der 3. Senat des OLG Düsseldorf auf die gesetzliche Wertung des Gesetzgebers ab, die sich aus dem Zusammenspiel der §§ 29 Abs. 1 ff. und 29 Abs. 5 BtMG ergibt.
Danach kommt es bei der Beurteilung, ob eines der in § 29 Abs.1 ff. BtMG genannten Vergehen „erheblich“ im Sinne des § 64 StGB sein kann, maßgeblich darauf an, ob die Menge noch „gering“ im Sinne des § 29 Abs. 5 BtMG ist. Im Übrigen hat der Senat dem AG in S noch nahe gelegt, in diesem Fall - trotz „Gewohnheitstäter“ - das Vorliegen der Voraussetzungen des § 29 Abs. 5 BtMG noch einmal genau zu prüfen.