Rechtstipp im Medizinrecht
Umfang der zahn-/ärztlichen Dokumentationspflicht
1. Standesrechtliche Regelungen
Ärzte / Zahnärzte sind standes- bzw. berufsrechtlich verpflichtet, die Behandlungen ihrer Patienten zu dokumentieren. Es sollte aber auch aus Selbstschutz in ihrem eigenen Interesse liegen, Befunde und Behandlungsmaßnahmen, Aufklärungsgespräche u.Ä. zu dokumentieren, um in einem etwaigen Haftungsprozess die ordnungsgemäße Behandlung darlegen zu können.
§ 12 Abs. 1 der Berufsordnung für Zahnärzte lautet: „Der Zahnarzt ist verpflichtet, Befunde und Behandlungsmaßnahmen chronologisch und für jeden Patienten getrennt zu dokumentieren (zahnärztliche Dokumentation) und mindestens zehn Jahre nach Abschluss der Behandlung aufzubewahren. Abweichend davon sind zahnärztliche Modelle, die zur zahnärztlichen Dokumentation notwendig sind, mindestens zwei Jahre nach Abschluss der Behandlung aufzubewahren. Diese Regelungen gelten, soweit nicht nach gesetzlichen oder anderweitigen Vorschriften längere Aufbewahrungsfristen bestehen.“
§ 10 Abs. 1 der Ärzte-Berufsordnung regelt: „Ärztinnen und Ärzte haben über die in Ausübung ihres Berufes gemachten Feststellungen und getroffenen Maßnahmen die erforderlichen Aufzeichnungen zu machen. Diese sind nicht nur Gedächtnisstützen für die Ärztin oder den Arzt, sie dienen auch dem Interesse der Patientin oder des Patienten an einer ordnungsgemäßen Dokumentation.“
2. Zivilrechtliche Regelungen
Sowohl aus dem Behandlungsvertrag als auch aus Deliktsrecht entspringt die Pflicht des Arztes zur Dokumentation der ärztlichen Tätigkeit (BGHZ 72, 132, 137 f; OLG München NJW 1992, 2973), da eine unzulängliche Erfassung des Behandlungsverlaufs die weitere Behandlung entscheidend erschweren kann (BGHZ 72, 132, 138; Groß, FS Müller, 2009, S 227; zitiert aus BeckOK BGB § 823 Rn. 737, Autor Spindler, Beck'scher Online-Kommentar BGB, Hrsg: Bamberger/Roth, Stand: 01.03.2011 Edition: 20)
Art, Umfang und Inhalt der Dokumentation bestimmen sich nach dem Dokumentationszweck. Dieser besteht in der Sicherung der therapeutischen Behandlung, da zum einen jeder mit- und nachbehandelnde Arzt über die durchgeführten Maßnahmen und Therapien informiert sein muss, zum anderen auch bei Behandlung nur durch einen Arzt eine verlässliche Datengrundlage für die Therapie vorhanden sein muss (BGHZ 99, 391, 397; 72, 132, 138; BGH NJW 1989, 2330, 2331; NJW 1999, 3408, 3409; OLG Oldenburg NJW-RR 2000, 240; zitiert aus BeckOK BGB § 823 Rn. 737, Autor Spindler, Beck'scher Online-Kommentar BGB, Hrsg: Bamberger/Roth, Stand: 01.03.2011 Edition: 20).
Mangelt es an einer sorgfältigen Dokumentation, kann dem Patienten eine entsprechende Beweiserleichterung zugute kommen, indem der Tatrichter vermuten kann, dass die nicht dokumentierte Maßnahme nicht vorgenommen wurde oder der nicht dokumentierte Befund nicht erhoben wurde (BGH NJW 1972, 1520; OLG Oldenburg NJW-RR 2009, 32, 34), da dem Patienten der Nachweis eines ärztlichen Behandlungsfehler sonst erschwert würde (BGHZ 72, 132, 136 ff, insoweit bestätigt in BGHZ 129, 6, 10; Schiemann, FS Gernhuber, 1993, S 387, 402), ohne dass der Dokumentationsmangel deswegen zur selbstständigen Anspruchsgrundlage würde (BGH NJW 1988, 2949; NJW 1993, 2375, 2376; BGHZ 129, 6, 10; OLG Oldenburg NJW-RR 2009, 32, 34; zitiert aus BeckOK BGB § 823 Rn. 737, Autor Spindler, Beck'scher Online-Kommentar BGB, Hrsg: Bamberger/Roth, Stand: 01.03.2011 Edition: 20).
Inhaltlich muss die Dokumentation einzelfallabhängig die wesentlichen Fakten und Befunde für die Anamnese, Diagnose und Therapie derart enthalten, dass der Fachmann - nicht der Laie sich ausreichend über den Verlauf der Behandlung orientieren kann (BGH NJW 1989, 2330, 2331; OLG München NJW 1992, 2973; Stegers MedR 1997, 393; H. Schmid NJW 1987, 683), insbesondere über die Medikation, die ärztlichen Hinweise und Anweisungen an die Pflege, auch über Abweichungen von Standardbehandlungen. Zu berichten sind der Verlauf der Behandlung, die Aufklärung (Auch eine Eingriffsverweigerung des Patienten trotz Aufklärung über eine dringend indizierte Untersuchung ist zu dokumentieren, OLG Bamberg NJW-RR 2005, 1266), der Verlauf einer Operation, Zwischenfälle, der Wechsel des Operateurs, eine Anfängerkontrolle, eine Intensivpflege, das Verlassen des Krankenhauses und Sicherheitsvorkehrungen gegen Selbstschädigung (Laufs/Kern/Schlund HdB ArztR § 55 Rn 9). Die Dokumentationspflicht besteht selbst dann, wenn die Untersuchungen normale Werte ergeben haben (BGH NJW 1995, 1611 f; OLG Stuttgart VersR 1998, 1550, 1552, Revision nicht angenommen, BGH Beschluss vom 24.3.1998, VI ZR 266/97). Indes muss nicht jedes Behandlungsdetail, das aus der damaligen Sicht irrelevant war, aufgezeichnet werden (BGH NJW 1984, 1403). Insbesondere Routinemaßnahmen und -kontrollen sind nicht protokollierungspflichtig (OLG Köln VersR 1998, 1026, 1027; OLG Frankfurt VersR 1987, 1118, 1119), ebenso wenig wie das Fehlen besonderer Vorkommnisse (BGH NJW 1984, 1403). Auch die Aufklärung über Behandlungsrisiken ist nicht vom Zweck der Aufzeichnungspflicht erfasst, erleichtert dem Arzt aber die ihm obliegende Beweisführung. Andererseits besteht eine gesteigerte Pflicht zur Dokumentation bei Risikopatienten oder Abweichungen vom Normalverlauf (BGH NJW 1984, 1403; NJW 1988, 762, 763; Staudinger/Hager Rn I 71; zitiert aus BeckOK BGB § 823 Rn. 738, Autor Spindler, Beck'scher Online-Kommentar BGB, Hrsg: Bamberger/Roth, Stand: 01.03.2011 Edition: 20).
Das OLG München entschied in seinem Urteil vom 26.09.1991, Az. 24 U 684/89:
„Der Arzt ist dem Patienten vertraglich und deliktisch zur Dokumentation des Behandlungsgeschehens verpflichtet. In erster Linie dient die Dokumentation als notwendige Grundlage für die Sicherheit des Patienten in der Behandlung, darüber hinaus aber auch der Rechenschaft gegenüber dem Patienten, was die medizinische Seite der Behandlung betrifft (vgl. BGH, NJW 1989, 2330 = VersR 1989, 512; NJW 1988, 762 = VersR 1987, 1238; Steffen, S. 112 ff.). Zu dokumentieren sind die wichtigsten diagnostischen und therapeuthischen Maßnahmen (u. a. auch Funktionsbefunde) und Verlaufsdaten (Operationsbericht, Narkoseprotokoll, Zwischenfälle; vgl. BGH, NJW 1986, 2365 = VersR 1986, 788).“
Zugunsten des für den behaupteten Behandlungsfehler beweispflichtigen Patienten kommen Beweiserleichterungen dann in Betracht, wenn die gebotene ärztliche Dokumentation lückenhaft oder gar unzulänglich ist und deswegen für ihn im Falle einer Schädigung die Aufklärung des Sachverhalts unzumutbar erschwert wird. In erster Linie indiziert das Fehlen einer Dokumentation, dass die aufzeichnungspflichtige Maßnahme unterblieben ist.
Dies findet sich darin begründet, dass grundsätzlich der Patient die Darlegungs- und Beweislast für Behandlungsfehler trägt. Dies ist allgemein anerkannt und ständige Rechtsprechung (BGH NJW 80, 1333; BGH NJW 83, 332; BVerfGE 52, 131; Baumbach/Lauterbach, ZPO, 67. Auflage 2009, Anh § 286, Randnr. 60). Lediglich in Ausnahmefällen, nämlich bei leichtfertigem Verhalten des Arztes bzw. bei schuldhafter Herbeiführung eines groben Behandlungsfehlers sieht die Rechtsprechung Beweiserleichterungen bis hin zur Beweislastumkehr vor. Der Arzt / Zahnarzt muss dann beweisen, dass der Behandlungsfehler nicht ursächlich für die körperliche Schädigung war (BGH NJW 87, 719). Das Vorliegen eines solchen leichtfertigen Verhaltens bzw. eines schuldhaft begangenen groben Behandlungsfehlers hat allerdings wiederum der Patient zu beweisen (Baumbach/Lauterbach, ZPO, 67. Auflage 2009, Anh § 286, Randnr. 65).
Wenn also diese Beweisführung des Patienten dadurch unmöglich gemacht wird, dass die Dokumentation unzulänglich, unvollständig oder sogar evident falsch ist, werden zugunsten des Patienten Beweiserleichterungen angenommen. Aus diesem Grund sollte – wie bereits eingangs ausgeführt – der Behandler seine Dokumentation umfassend führen, indem er alle relevanten Fakten schriftlich festhält.
Das Schweigen der Dokumentation führt dabei zwar nicht bereits zur Beweislastumkehr, also zu der Vermutung, die nicht vermerkte Maßnahme sei auch nicht durchgeführt worden. Wohl aber kann es im Zusammenhang mit weiteren Umständen als Indiz gewürdigt, also im Sinne einer Beweiserleichterung für den Patienten verwertet werden.
Letztlich muss eine gewissenhafte Abwägung der schutzwürdigen Interessen der Patienten und den Alltagsbelastungen der Ärzte /Zahnärzte stattfinden. Der Dokumentationsaufwand muss sich in einem überschaubaren Rahmen halten, damit den Ärzten und Zahnärzten ausreichend Zeit für ihre eigentliche Tätigkeit, die Behandlung kranker Menschen, verbleibt.
Das OLG München entschied in seinem Urteil vom 15.07.2011 - 1 U 5092/10 Hei, 1 U 5092/10, (BeckRS 2011, 19020): „Grundsätzlich kann das Gericht einer formell und materiell ordnungsgemäßen Dokumentation, die keinerlei Anhalt für Veränderungen/Verfälschung oder Widersprüchlichkeiten bietet, Glauben schenken (vgl. OLG Düsseldorf vom 17.03.2005 - Az. 8 U 56/04; OLG Oldenburg vom 28.02.2007 - Az. 5 U 147/05).“ Dies kommt einer Vermutung der Richtigkeit weitgehend nahe. Aufzeichnungen in der Dokumentation kommt allerdings grundsätzlich nur Beweiskraft zu, sofern diese in zeitlich nahem Bezug zu dem dokumentierten Geschehen niedergelegt wurden.
Eine detaillierte, medizinisch plausible und schlüssige Dokumentation, die keinerlei Lücken oder Fehler erkennen lässt, kann somit nicht so einfach erschüttert werden.
Letztlich muss aber nicht immer ein angeblicher Behandlungsfehler im Vordergrund stehen. So bildet die Dokumentation auch eine beweisfeste Grundlage, wenn es zu Streitigkeiten darüber kommt, ob eine bestimmte Leistung überhaupt erbracht wurde und dementsprechend abgerechnet werden durfte. Ist die entsprechende Leistungserbringung in der Kartei festgehalten, spricht einiges dafür, dass die Leistung auch tatsächlich erbracht wurde.
Die handschriftlich geführten Behandlungsunterlagen gelten als Urkunden im Rechtssinne mit der Folge, dass bei ihnen die Vollständigkeit und Richtigkeit vermutet wird. Den Nachweis einer Fälschung der Behandlungsunterlagen hat daher der Patient zu führen. Das Oberlandesgericht Hamm hat in einem Urteil vom 26. Januar 2005 (Az.: 3 U 161/04) erkannt, dass auch eine EDV-Dokumentation, die nicht gegen nachträgliche Veränderung gesichert ist, dennoch den vollen Beweiswert wie eine übliche handschriftliche Dokumentation hat, wenn der Arzt plausibel darlegt, dass die Dokumentation nicht nachträglich verändert wurde und die Dokumentation auch aus medizinischen Gesichtspunkten plausibel erscheint.
3. Zusammenfassung
- Aufzeichnungen über den Behandlungsverlauf werden vom Arzt als vertragliche Nebenpflicht geschuldet. Inhaltliche Mängel der Krankenunterlagen führen im Haftungsprozess zu Beweisnachteilen für den Arzt/Zahnarzt. Auch standesrechtlich sind Ärzte / Zahnärzte verpflichtet, eine Dokumentation zu führen, die obigen Ansprüchen genügt.
- Nach dem Zweck der Dokumentationspflicht muss der Arzt/ Zahnarzt all das festhalten, was für ihn erkennbar bei späterer ärztlicher Überprüfung seines Vorgehens zur Grundlage einer Begutachtung erforderlich ist.
- Die von der Rechtsprechung bei erheblichen Dokumentationsmängeln zugelassenen Beweiserleichterungen zum Nachweis eines Behandlungsfehlers sind unabhängig von Zahl und Umfang einzelner Mängel dann gerechtfertigt, wenn Fehler der Aufzeichnungen diese insgesamt für eine Begutachtung des ärztlichen Verhaltens als unbrauchbar erscheinen lassen.
Jan Lehr
Rechtsanwalt