Rechtstipp im Medizinrecht
Grundsatzurteil: Private Krankenversicherungen müssen auch vermeindliche Luxus-Hilfsmittel bezahlten
Werden für die Versorgung von Pflegebedürftigen im häuslichen Bereich Hilfsmittel benötigt, z. B. Multifunktionsrollstühle, wird die Kostenübernahme durch private Krankenversicherungen häufig mit dem Argument verweigert, dass es sich um Luxusmodelle handele, auf die die Versicherten keinen Anspruch hätten, weil in den Versicherungsbedingungen lediglich Kostenerstattung für Hilfsmittel „in einfacher Ausführung“ vorgesehen sei.
Das durch die Kanzlei Schönhof erstrittene Urteil des Landgerichts Dortmund vom 29.11.2012 stellt nun klar, dass die Versicherungsbedingungen, in denen Leistungen darauf beschränkt sind, dass Kosten für Hilfsmittel lediglich in „einfacher Ausführung“ gewährt werden, unwirksam sind. Dies bedeutet, dass die privaten Krankenversicherungen verpflichtet sind, Kosten für Hilfsmittel, die vom Arzt verordnet wurden, auch in der Ausführung zu erstatten, die vom Arzt als erforderlich angesehen wurde und nicht in einer einfacheren Variante.
Zugrunde lag ein Fall, in dem einer Wachkoma-Patientin ein Multifunktionsrollstuhl mit Anschubhilfe und Komfort-Sitzelementen verordnet wurde. Die PKV verweigerte die Kostenerstattung mit dem Argument, dass es sich hierbei um ein „Luxusmodell“ handele, für das eine Kostenerstattung nicht vorgesehen sei.
Das Gericht begründet die Verurteilung der PKV damit, dass die Klauseln in den Versicherungsbedingungen der privaten Krankenversicherungen, die Kostenerstattung für Hilfsmittel „in einfacher Ausführung“ vorsehen, nicht bestimmt genug seien. Generell haben Versicherungsbedingungen den Versicherten in die Lage zu versetzen, ohne fremde Hilfe möglichst klar und einfach seine Rechte feststellen zu können, damit er von deren Durchsetzung nicht abgehalten wird. Eine Regelung über Kostenerstattung von Hilfsmitteln „in einfacher Ausführung“ versetzt den Versicherten eben nicht in die Lage, festzustellen, welche Ansprüche und in welcher Höhe diese bestehen.
Der Formulierung „in einfacher Ausführung“ lässt sich nicht entnehmen, ob es sich bei diesem Merkmal um ein quantitatives, ein qualitatives oder rein monetäres Kriterium handele. Würde man ein „quantitatives Kriterium“ annehmen, würde dies bedeuten, dass die PKV die Kosten nicht für eine Mehrzahl von Hilfsmitteln erstatten wolle, der Versicherte also keinen Anspruch auf Kostenerstattung für mehr als ein Hilfsmittel hätte. Unter diesen Umständen hätte die PKV allerdings auch den hier begehrten Multifunktionsrollstuhl zu bezahlen, da nur ein Rollstuhl verordnet und geliefert worden war.
Um ein „qualitatives Kriterium“ würde es sich handeln, wenn die Regelung so zu verstehen wäre, dass Kosten für einfache im Sinne von schlichten Hilfsmitteln erstattet werden sollen. Dann müsste der Versicherte sich darauf verweisen lassen, dass er keinen Anspruch auf die beste Qualität hätte, sich andererseits aber auch nicht mit der schlechtesten Qualität im Sinne einer „einfachsten“ Ausführung begnügen müsste. Er könnte sich aus der Bandbreite der zwischen „bester Qualität“ und „einfachster Ausführung“ vorhandenen Hilfsmittel bedienen, wobei unklar bliebe, welche Qualität denn nun maßgebend sein sollte.
Rein „monetär“ wäre die Vertragsbestimmung zu verstehen, wenn die Regelung eine Preisbegrenzung darstellen sollte. Allerdings war hier die Preisgrenze, bis zu der ein Leistungsanspruch der versicherten Person bestehen soll, offen, weil nicht genannt, und nicht einmal ansatzweise erkennbar.
Die Versicherung kann sich auch nicht darauf berufen, dass das Hilfsmittel (der Multifunktionsrollstuhl) medizinisch nicht erforderlich sei. Nach Ansicht des Gerichts kommt es lediglich darauf an, dass das Hilfsmittel ärztlich verordnet wurde. Die medizinische Notwendigkeit kann die PKV nach deren eigenen Bedingungen nämlich nur hinsichtlich der ärztlichen Heilbehandlung prüfen. Das Hilfsmittel selbst muss nicht medizinisch notwendig sein, die Erstattungsfähigkeit ergibt sich bereits aus der ärztlichen Verordnung.