Rechtstipp im Medizinrecht
Fachbeitrag: Die Compliance des Patienten und deren rechtliche Bedeutung
1. Unter „Compliance“ wird die Bereitschaft eines Patienten zur aktiven Mitwirkung an therapeutischen Maßnahmen verstanden.
Das Vorwort des Compliance Handbuches aus dem Jahre 1982 definiert Compliance genauer als „das Ausmaß der Übereinstimmung des Verhaltens eines Menschen in Bezug auf die Einnahme von Arzneimitteln, die Befolgung einer Diät oder die Art, wie jemand seinen Lebensstil ändert, mit einem ärztlichen oder gesundheitlichen Rat."
Im Allgemeinen sollte es indes ausreichen, wenn man unter Compliance die schlechthin für jeden Behandlungserfolg notwendige Mitwirkung des Patienten versteht.
Zu den Mitwirkungspflichten des Patienten gehören Information und Hinweispflichten sowie – naturgemäß - die Teilnahme an der Therapiedurchführung. Eine wirksame und erfolgreiche ärztliche Behandlung setzt die Mitwirkung des Patienten voraus. Es gibt nur wenige Krankheiten, bei denen für den Therapieerfolg auf eine aktive Mitarbeit des Patienten verzichtet werden kann. Bereits der Wille gesund zu werden, kann Bedeutung für eine erfolgreiche Behandlung haben.
Analog dazu wird bei Nichtbefolgen medizinischer Ratschläge und Therapien von „Non-compliance“ gesprochen. Der Schwerpunkt der Non-compliance liegt bei der Nichtbefolgung ärztlicher Anordnungen. Besonders bedeutsam ist hierbei die verordnungsgemäße Medikamenteneinnahme. Aber auch ein Rauchverbot, Gewichtsabnahme oder Bewegung werden ebenso wir Pflege- und Kontrolluntersuchungen im zahnärztlichen Bereich unter den Begriff der Compliance subsumiert.
Bei Non-compliance im Bereich der Medikation kann festzustellen sein, dass der Patient selbst das Ausbleiben des gewünschten Behandlungserfolges allein und ausschließlich zu vertreten hat.Dies deshalb, weil der Arzt die angeratenen Maßnahmen wie beispielsweise ein Rauchverbot, die Gewichtsabnahme oder vermehrte Bewegung nicht erzwingen kann. Die Durchführung dieser Maßnahmen unterliegt der Selbstbestimmung des Patienten, die der Arzt zwar beeinflussen, aber nicht ausführen kann.
Es ist hierbei allerdings zu beachten, dass die fehlende Compliance des Patienten den Arzt nicht von der vertraglichen Pflicht entbindet, den Ursachen für die Mitwirkungsverweigerung des Patienten auf den Grund zu gehen und den Patienten zu mehr Compliance anzuhalten.
Wie sich bereits aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, ist die Compliance als Grundlage der meisten erfolgreichen ärztlichen Therapien stark abhängig von einem funktionierenden Arzt-Patienten-Verhältnis.
2. Rechtsgrundlage der Mitwirkungspflicht des Patienten ist grundsätzlich der ärztliche Behandlungsvertrag. Wer vom Arzt Heilmaßnahmen verlangt, ist vertraglich verpflichtet, alles zu tun, um die erfolgreiche Behandlung oder Operation zu ermöglichen.
Nur beispielhaft sei in diesem Zusammenhang auf die Entscheidung des LG Hannover vom 04.10.2001 (Az.: 19 O 5798/00 – 302) verwiesen, in der es heißt:
„Wer von einem Arzt Heilmaßnahmen verlangt, ist vertraglich verpflichtet, alles zu tun, um die erfolgreiche Behandlung zu ermöglichen. Hierzu gehört auch die Verpflichtung des Patienten, Behandlungen zu erdulden. Bei zahnprothetischen Behandlungen gehört es danach zu den Pflichten des Patienten, nach Eingliederung der Prothetik okklusale Nachbesserungen zu dulden.“
Die Compliance ist eine vertragliche Nebenpflicht, die der Patient dem Arzt gegenüber schuldet. Grundsätzlich ist daher die Verletzung der Pflicht zur Compliance rechtserheblich und kann dem Einwand der Schlechterfüllung des Arztvertrages entgegengehalten werden, wenn z.B. der Patient die Zahlung des ärztlichen Honorars verweigert (Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 78 Rdn. 5).
Eine Non-compliance, die die Erfüllung des Behandlungsvertrages durch den Arzt unmöglich macht, kann sich damit als schuldhafte Vertragsverletzung darstellen, die den Patienten trotz etwaiger anderer, eigentlicher patientengünstiger Umstände verpflichtet, die Vergütung zu bezahlen.
Eine Non- compliance, die zu einem Misserfolg der Behandlung führt, begründet fast immer ein Mitverschulden des Patienten im (Arzt-)Haftungsprozess nach § 254 BGB.
Insbesondere im zahnärztlichen Bereich kommt der Compliance eine hervorgehobene Bedeutung zu. So beschränkt sich die Compliance eines Patienten bei Zahnersatz (Prothetik) nicht nur auf das Eingliedern des Zahnersatzes. Vielmehr ist der Patient verpflichtet, durch entsprechende Pflege- und Kontrolluntersuchungen zum dauerhaften Erhalt des Zahnersatzes auch im eigenen Interesse beizutragen. Insbesondere nachträgliche Anpassungs- und Nachbehandlungsmaßnahmen sind hier von zentraler, oftmals streitentscheidender Bedeutung und sollten vom Patienten gewährt werden.
Trotz grundsätzlicher Anwendbarkeit des Dienstvertragsrechts ist nämlich bei Zahnersatzversorgungen auf Grund der Tatsache, dass prothetische Leistungen – unabhängig von der Qualität der zahntechnischen Arbeit - nicht auf Anhieb passgenau zu erbringen und Nachbesserungen in der Regel erforderlich sind, allgemein anerkannt, dass dem Zahnersatz bei der Einpassung von Zahnersatz ein Nachbesserungsrecht zusteht (OLG München, Urt. v. 23.09.1999, 1 U 2423/99; OLG Nürnberg, Beschl. v. 22.07.2004, 5 W 2451/04, OLG München, Urt. vom 25.09.2007, 1 U 3395/07). Der Patient hat dem Zahnarzt die entsprechende Nachbehandlung zu ermöglichen widrigenfalls wird die Vergütung gemäß § 162 BGB fällig, ohne dass die Leistung vollständig erbracht ist (OLG Nürnberg, a.a.O.).
Vor allem im Bereich der Kieferorthopädie ist die Patienten - Compliance naturgemäß geradezu unverzichtbar, um Behandlungsziele zu erreichen:
Oexmann/Georg (Die zivilrechtliche Haftung des Zahnarztes, Rdn. 408): „Ohne die Mitarbeit des Patienten läuft nichts in der Kieferorthopädie.“
Im kieferorthopädischen Bereich betrifft die Compliance vor allem die Pflege der Behandlungsgeräte und den Umgang mit diesen Geräten wie z.B. das Weiterdrehen der Schrauben an aktiven Platten oder Kontrolle des Innenbogens des Headgears anhand einer Schablone. Keine Non – Compliance ist dagegen das plötzliche Wegdrehen des Kopfes einer Injektion, Schluckbewegungen, Zungenbewegungen oder Würgereflexe bei der Wurzelbehandlung, Verschlucken und Aspiration. (Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 78 Rdn. 12)
Ferner ist im Rahmen der bereits als Schwerpunkt der Non-compliance dargestellten Nichtbefolgung ärztlicher Anordnungen aus Sicht des Arztes rechtlich zu beachten, dass für den Fall, dass ein Patient den ärztlichen Rat nicht annimmt, der Arzt verpflichtet ist, seinen Patienten auf mögliche schwerwiegende Folgen der Nichtbehandlung hinweisen. Andernfalls kann der Arzt trotz eines richtigen Rates in Haftung genommen werden (BGH, VI ZR 157/08).
Abschließend bleibt anzumerken, dass sonstige Mitwirkungspflichten des Patienten auch in den §§ 60-64 SGB I festgelegt sind. Entsprechend der dortigen Voraussetzungen hat der Patient Angaben zu machen, persönlich zu erscheinen, Untersuchungen zu dulden und eine Heilbehandlung sowie berufsfördernde Maßnahmen zu dulden. Die Grenzen dieser Mitwirkung ergeben sich aus § 65 SGB I.
Im Fazit bleibt festzuhalten, dass die Compliance eines Patienten nicht nur in tatsächlicher Hinsicht für das Erreichen des angestrebten Behandlungserfolges von maßgeblicher Bedeutung, sondern auch rechtlich in vielerlei Hinsicht bedeutsam ist. Obwohl es mit Blick auf das Gelingen der Behandlung ohnehin im ureigensten Interesse des Patienten liegen dürfte, aktiv auf das Behandlungsziel hinzuwirken, sollten sich Patienten darüber im Klaren sein, dass ihr diesbezügliches Verhalten nicht nur in physischer, sondern auch in rechtlicher Hinsicht zu Ihren Lasten gehen kann.
Aus Sicht des Arztes ist anzuraten bei streitbefangenen Behandlungen im Rahmen der Sichtung und Aufarbeitung des Sachverhaltes auch den Aspekt der Compliance des Patienten stets im Auge zu behalten und etwaiges Non-compliance-Verhalten des Patienten dem mandatierten Rechtsanwalt mitzuteilen. Es könnte sich lohnen...
Matthias Mayer
Rechtsanwalt