Rechtstipp im Medizinrecht
Befangenheit des medizinischen Sachverständigen
. Nach §§ 406, 42 Abs. 1 ZPO kann ein Sachverständiger wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Dies setzt - von dem Standpunkt der ablehnenden Partei aus bei vernünftiger Betrachtung - die Befürchtung voraus, der Sachverständige stehe der Sache nicht unvoreingenommen gegenüber.
Dies kann der Fall sein, wenn der Sachverständige zu der ihm zur Beantwortung vorgelegten Beweisfrage nicht in der gebotenen Sachlichkeit und Neutralität Stellung genommen hat.
Die Tatsache, dass die sachverständigen Ausführungen im Ergebnis der Rechtsansicht einer Partei zuwiderlaufen, vermögen die Besorgnis der Befangenheit nicht zu rechtfertigen. Gleiches gilt für etwaige vorgebrachte inhaltliche Unzulänglichkeiten des Gutachtens. Diese können im Rahmen der Befragung des Sachverständigen bzw. eines schriftlichen Ergänzungsgutachtens geltend gemacht werden, begründen jedoch nicht die Besorgnis der Befangenheit. Das Verfahren der Ablehnung eines Sachverständigen ist nicht dazu bestimmt zu überprüfen, ob seine Beurteilung der beweisrechtlichen Fragen, um deren Beantwortung er gebeten worden ist, sachlich richtig oder falsch ist (vgl. OLG Saarbücken, Beschluss vom 8.11.2007, 5 W 287/07).
Allein entscheidend ist, ob aus der Sicht des Ablehnenden genügend objektive Gründe vorliegen, die nach der Meinung einer ruhig und vernünftig denkenden Partei Anlass geben an der Unvoreingenommenheit des Sachverständigen zu zweifeln (vgl. hierzu Zöller/Vollkommer, § 406 Rn. 8f. m. w. Nachw.). Für die Besorgnis der Befangenheit genügt jede Tatsache, die auch nur subjektives Misstrauen der Partei in die Unparteilichkeit des Sachverständigen vernünftigerweise rechtfertigen kann. Ob der Sachverständige tatsächlich voreingenommen ist, ist dabei unerheblich.
Zwar sind Rechtsausführungen eines Sachverständigen nicht grundsätzlich ein die Besorgnis der Befangenheit begründender Umstand (OLG Karlsruhe, MDR 1994, 725; Musielak-Huber, 4. Aufl. 2005, § 406, Rdnr. 11; Zöller-Greger, ZPO, 26. Aufl., § 406, Rdnr. 9). Es liegt jedoch anders, wenn die Rechtsausführungen nicht notwendiger Weise im Rahmen der sachverständigen Beantwortung der Beweisfragen erfolgen.
Ob das Gericht ein weiteres Gutachten zulässt, liegt grundsätzlich in seinem Ermessen (vgl. zu Gründen, bei denen das Gericht ein weiteres Gutachten eingeholt hat: in Zöller/Greger ZPO § 412 Rn 1 mwN.)
II. Lediglich äußerst selten werden Sachverständige von einer Partei wegen der Besorgnis der Befangenheit erfolgreich abgelehnt.
Eine der aktuellsten Entscheidungen zu dieser Thematik traf das OLG München, 19.09.2011—1 W 1532/11.
Die Klägerseite lehnte nach Prüfung des Gutachtens den Sachverständigen wegen Befangenheit ab mit der Begründung, der Gerichtsgutachter habe den Gutachtensauftrag überschritten, indem er allgemein zur Aufklärung Stellung genommen habe, obwohl diese Frage gar nicht vom Gutachtenauftrag umfasst gewesen sein soll.
Das Gericht führt in seiner Entscheidung aus: „Es kann aus Sicht des Senats nicht die Besorgnis der Befangenheit begründen, wenn der Sachverständige, der mit der Klärung der Frage, ob dem Arzt ein Behandlungsfehler nachgewiesen werden kann und ob über etwaige Behandlungsalternativen aufgeklärt wurde, beauftragt wurde, auch die vom Kläger aufgeworfene Frage einer ordnungsgemäßen Aufklärung mitbehandelt. Dies mag eine Überschreitung des Gutachtensauftrags darstellen. Vor dem Hintergrund, dass zumindest bei der Darstellung des Streitstandes unter 1. in der Sachverhaltsübersicht erwähnt wurde, dass der Kläger den Beklagten insgesamt eine unzureichende Aufklärung vorwirft, und von einem medizinischen Sachverständigen keine Detailkenntnisse des Arztrechts verlangt werden können, kann dies nicht zu einer Besorgnis der Befangenheit führen.
Ob eine Überschreitung oder auch nur eine Fehlinterpretation eines Gutachtensauftrags geeignet ist, bei einer vernünftigen Partei die Besorgnis der Befangenheit hervorzurufen, ist aufgrund des jeweiligen Einzelfalls zu entscheiden. Eine schematische Betrachtungsweise verbietet sich. Vorliegend war zu berücksichtigen, dass die Frage einer ordnungsgemäßen Aufklärung von dem Kläger aufgeworfen worden ist, die Gegenstand der Sachverhaltsübersicht in dem Beweisbeschluss war und der Sachverständige insoweit nicht von sich aus neue Aspekte in das Verfahren eingeführt hat. Des Weiteren hat der Sachverständige darauf hingewiesen, dass er die Frage der ordnungsgemäßen Aufklärung aufgrund der ihm vorliegenden Dokumentation beantwortet hat. Es ist für den Senat nicht ersichtlich, inwieweit bei einer vernünftigen Partei die Vorgehensweise des Sachverständigen zu einer Besorgnis der Befangenheit führen kann.“
a) Beispiel für eine erfolgreiche Ablehnung:
In der Rechtsprechung ist bereits entschieden worden, dass hinsichtlich eines Sachverständigen, der Chefarzt in einem akademischen Lehrkrankenhaus einer Partei des Rechtsstreits ist, aufgrund dieser Stellung die begründete Besorgnis der Befangenheit besteht, weil hier aus der maßgeblichen Sicht der anderen Partei die Gefahr von Interessenkollision und Rücksichtnahmen nicht ausgeschlossen werden kann (vgl. OLG Stuttgart 22.10.2007, 1 W 51/07).
b) In Abgrenzung hierzu ist aber auch entschieden worden, dass ein Sachverständiger, der in einem akademischen Lehrkrankenhaus einer Universität tätig ist, allein deshalb in einem Prozess unter Beteiligung eines anderen akademischen Lehrkrankenhauses derselben Universität nicht mit Erfolg wegen dieser mittelbaren Verbindung zu einer Partei abgelehnt werden kann (so OLG Stuttgart 19.12.2007, 1 W 60/07). Ferner begründet es nicht die Besorgnis der Befangenheit eines medizinischen Sachverständigen, dass dieser selbst als Arzt in einem — rechtlich selbständigen — Universitätsklinikum tätig ist, sofern ein akademisches Lehrkrankenhaus der betreffenden Universität mit dem Krankenhaus, in dem die streitgegenständliche Behandlung stattgefunden hat, durch einen gemeinsamen Klinikträger verbunden ist (vgl. OLG Nürnberg 04.11.2010, 5 W 1771/10).
Ein Sachverständiger hat auch das Recht zu angemessener Schärfe gegenüber Äußerungen einer Partei, ohne sich sofort des Verdachts der Parteilichkeit ausgesetzt zu sehen.
Das OLG München entschied kürzlich: „In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass Äußerungen eines Richters oder Sachverständigen im Kontext zu beurteilen sind. Dem Sachverständigen ist es insbesondere nicht verwehrt, zu fachlichen Behauptungen einer Partei, die diese mit Nachdruck vertritt, ebenso klar und nachdrücklich seine Einschätzung zu äußern. Weder von einem Richter noch von einem Sachverständigen wird im Übrigen verlangt, dass er verbale Attacken einer Partei stoisch hinnimmt. Auf provokante Angriffe oder persönliche Vorwürfe darf mit angemessener Schärfe reagiert werden. Zudem soll nicht die Möglichkeit eröffnet werden, durch Provokation des Richters oder Sachverständigen einen Ablehnungsgrund zu schaffen.“
III. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass ein Befangenheitsantrag lediglich in Ausnahmefällen zum Erfolg führen wird, namentlich bei auffälligen Interessenkollisionen oder in Fällen, in denen der Sachverständige sich in ungemessener Form gegenüber einer Partei äußert. Wann dies der Fall ist, lässt sich jedoch nicht pauschal sagen, sondern ist immer von den konkreten Umständen des Einzelfalls anhängig.