Rechtstipp im Familienrecht
Schonvermögen beim Elternunterhalt
Schonvermögen beim Elternunterhalt
Eltern schulden ihren Kindern Unterhalt, das ist allgemein bekannt. Dass sich umgekehrt dasselbe aus dem Gesetz ergibt, ist weniger bekannt, ergibt sich aber ohne weiteres aus § 1603 BGB. Die folgenden Ausführungen befassen sich mit der Situation, die unter dem Stichwort „Sandwich-Generation“ diskutiert wird.
A = Sachverhalt:
Die inzwischen pflegebedürftige Mutter wird im Altenheim untergebracht. Ihre Rente reicht nicht aus, die Heimkosten zu decken. Die ungedeckten Heimkosten übernimmt zunächst das Sozialamt. Durch Rechtswahrungs- und Überleitungsanzeige teilt das Sozialamt dem in Anspruch genommenen Sohn den Sachverhalt mit und macht Ansprüche gegen ihn geltend. Er soll aus eigenem Einkommen oder aus eigenem Vermögen die vom Sozialamt gezahlten Heimkosten tragen (Fall nachgebildet OLG Koblenz, Urteil vom 01.09.1999, 9 UF 63/99; OLG Köln, Urteil vom 12.06.2002 – 27 UF 194/01 und BGH, Urteil vom 30.08.2006 – XII ZR 98/04).
B = Lösung des Problems
Genau wie Eltern ihren Kindern, sind auch Kinder ihren Eltern unterhaltspflichtig, §§ 1601 ff. BGB. Allerdings ist der Elternunterhalt schwach ausgestaltet. Kinder, Ehegatten oder geschiedene Ehegatten der Kinder gehen den Eltern im Rang vor, §§ 1609 I u. II, 1615 l III BGB. Danach wird Unterhalt geschuldet, wenn das Kind unter Berücksichtigung der sonstigen Verpflichtungen und ohne Gefährdung des eigenen angemessenen Unterhalts im Stande ist, den Eltern Unterhalt zu gewähren. Der Grund für die schwache Ausgestaltung des Elternunterhalts liegt darin, dass Kinder regelmäßig nicht damit rechnen müssen, von den Eltern auf Unterhalt irgendwann einmal in Anspruch genommen zu werden, zumal sie in der Regel eine eigene Familie und auch eigene Kinder haben (sogenannte Sandwich-Generation).
Wenn das in Anspruch genommene Kind kein angemessenes Einkommen hat, wenn es z. B. unter dem angemessenen Selbstunterhalt mit seinem Einkommen liegt, stellt sich die Frage, ob eventuell auf vorhandenes Vermögen abgestellt werden kann, konkret: Muss das in Anspruch genommene Kind auf den Vermögensstamm zugreifen? Diese Frage stellt sich in aller Deutlichkeit, wenn der Sohn vorträgt, der - vorhandene - Vermögensstamm diene der Sicherung des eigenen Alters, dafür sei er angespart worden.
Hierzu vertritt der BGH in ständiger Rechtsprechung den Grundsatz, dass auch der Stamm des Vermögens zum Unterhalt einzusetzen ist. Hinzu tritt, dass das Gesetz in dieser Situation auch keine allgemeine Billigkeitsgrenze vorsieht, wie es z. B. für den nachehelichen Unterhalt geregelt ist. Es kommt also allein auf das einsetzbare Vermögen nach § 1603 I BGB an. Danach ist derjenige nicht unterhaltspflichtig, der bei Berücksichtigung der sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, ohne Gefährdung seines eigenen angemessenen Unterhaltes an die Eltern Unterhalt zu gewähren, es sei denn, er verfügt über verwertbares Vermögen. Folge daraus ist, dass der unterhaltspflichtige Sohn den Vermögensstamm dann nicht verwerten muss, wenn ihn dies in der Zukunft von fortlaufenden Einkünften abschneiden würde, die er aber zur Erfüllung z. B. eigenen Unterhalts im Alter benötigt. Es steht dem unterhaltspflichtigen Kind grundsätzlich frei, wie er Vorsorge für sein Alter trifft, ob er sich z. B. Aktien kauft, Sparbücher anlegt oder Immobilien anschafft. Inzwischen hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass die primäre Versorgung im Alter nicht mehr allein durch die gesetzliche Altersversorgung erreicht wird (z. B. Artikel 6 Altersvermögensgesetz). Wenn dies klar ist, dann muss die Eigenvorsorge für die Zukunft auch privilegiert werden. Die Belastung erwachsener Kinder durch die Pflicht zur Zahlung von Elternunterhalt soll mit Blick auf die eigene Lebenssituation begrenzt werden, §§ 41 ff. SGB XII.
Inzwischen setzt sich also die Erkenntnis durch, dass Vermögen für das Alter entweder in bestimmten absoluten Zahlen geschützt wird, wobei es bislang aber keine bundeseinheitliche Regelung gibt. So erklärt der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge, dass dem Unterhaltspflichtigen im Regelfall 75.000,00 EUR als Schonvermögen belassen werden müssen. Nach den Sozialhilferichtlinien in Rheinland-Pfalz beträgt das Schonvermögen 150.000,00 DM, entsprechend rund 75.000,00 EUR. In der Rechtsprechung scheint sich die Erkenntnis durchzusetzen, dass das Schonvermögen des unterhaltspflichtigen Kindes wie folgt berechnet werden kann (BGH, NJW-RR 2004, 793):
Man geht von einer zugebilligten monatlichen Sparrate in Höhe von 5 % des Bruttoeinkommens für das Alter aus. Dann ermittelt man, wie viel Berufsjahre in Frage kommen und berücksichtigt eine Rendite von 4 %. Die Höhe des monatlichen Bruttoreinkommens oder des Jahresbruttoeinkommens ergibt sich aus den Jahresentgeltbescheinigungen des Arbeitgebers. Darauf den Prozentsatz angewandt, mal die in Betracht kommenden Berufsjahre und darauf dann eine gedachte Rendite von 4 % können zu einem erheblichen Kapital führen. Dies wird in der Rechtsprechung zunehmend als „Schonvermögen“ angesehen. Dieses Schonvermögen ist dann vor dem Zugriff des Sozialamtes geschützt.
Die aktuelle Situation soll anhand des nachstehenden Beispielfalls kurz dargestellt werden, (vergleiche BGH, Urteil vom 30.08.2006).
Der 50-jährige Sohn, alleinstehend und kinderlos hat ein Einkommen von rund 2.150,00 € brutto. Dieses Einkommen liegt etwas unter dem für den Elternunterhalt maßgeblichen Mindestselbstbehalt. Das Sozialamt meint, dass der Sohn durch Verwertung seines Vermögens von rund 110.000,00 € zu den ungedeckten Heimkosten seiner Mutter beizutragen habe. Der Sohn hat nämlich Schmuck im Wert von rund 10.000,00 €, Wertpapiere über 17.000,00 € und ein Girokonto mit 65.000,00 €. Er hat Lebensversicherungen mit einem Rückkaufswert von 18.000,00 €. Außerdem hat er ein über zehn Jahre altes Auto für das er sich alsbald einen Neuwagen anschaffen will zu einem Preis von rund 22.000,00 €.
Nach der Rechtsprechung ist es nicht zu beanstanden, wenn der Sohn für die Neuanschaffung eines PKW 22.000,00 € zurücklegt, da dieses Vorhaben allemal günstiger ist, als sich zu verschulden, also ein Auto auf Kredit anzuschaffen. Das Restvermögen reduziert sich damit auf 88.000,00 €. Von dem Sohn kann – so der BGH – die Verwertung dieses Vermögens nicht verlangt werden. Es ist anerkannt, dass beim Elternunterhalt die Kinder 5 % des Bruttoeinkommens für eine zusätzliche private Altersversorgung aufwenden dürfen (BGH, FamRZ 2014, 792). Bei einem Bruttoeinkommen von 2.150,00 € monatlich darf der Sohn also monatlich rund 107,50 € zurücklegen. Bei einer monatlichen Verzinsung von 4 % während eines Berufslebens von 35 Jahren entsteht so ein Kapital von rund 100.000,00 €. Dieses Kapital ist dem Einsatz für den Elternunterhalt entzogen.
Die Rechtsprechung betont zwar immer wieder, dass es sich jeweils um eine Einzelfallentscheidung handelt, allerdings lässt sich eine Tendenz feststellen, dass ein Betrag von gerundet 75.000,00 € als geeigneter Richtwert für einen Selbstbehalt am Vermögenstamm geeignet ist (OLG Düsseldorf, FamRZ 2011, 291, 293).
Ergänzender Hinweis: Die Frage, ob die Verwertung des selbstgenutzten angemessenen Eigenheims vom Unterhaltspflichten überhaupt verlangt werden kann, ist seit der Entscheidung des BGH (Urteil vom 19.03.2003 = FamRZ 2003, 1178, 1181) mit einem eindeutigen „Nein“ zu beantworten.
Die hier aufgeworfene rechtliche Problematik ist sehr komplex. Im Streitfall sollte das vom Sozialamt in Anspruch genommene Kind sich in jedem Fall rechtlichen Beistand durch einen Anwalt besorgen.
Rechtsanwalt Hans-Joachim Sitz
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
www.kessing.de
si@kessing.de