Rechtstipp im Familienrecht
Rechtsanwalt-Tipp Unterhaltsrecht: Bundesverfassungsgericht ändert Rechtsprechung zum nachehelichen Unterhalt von Geschiedenen (nachehelicher Unterhalt) in Fällen der Neuverheiratung / Wiederheirat
Das Bundesverfassungsgericht
(BVerfG) hat in seiner jüngsten Entscheidung (Beschluss vom 25. Januar
2011 - 1 BvR 918/10 -) die Grundsätze zum nachehelichen Unterhalt und
zur Unterhaltsberechnung im Falle der Neuverheiratung / Wiederheirat des
geschiedenen Ehepartners revidiert.
I. Ausgangslage:
Der
Bundesgerichtshof hatte anlässlich der zum 1. Januar 2008 erfolgten
Gesetzesänderung zum Unterhaltsrecht in seiner Entscheidung vom 6.
Februar 2008 – XII ZR 14/06 - die Grundsätze, wie der Unterhaltsbedarf
eines geschiedenen Ehepartners und des neuen Ehepartner bei
Wiederverheiratung des Unterhaltspflichtigen zu bemessen ist und wie
sich die Ansprüche wechselseitig in der Höhe beeinflussen, völlig neu
gefasst.
1. Gesetzesänderung 2008
Die
Gesetzesänderung 2008 sah vor, dass beim Geschiedenenunterhaltsrecht der
Grundsatz der wirtschaftlichen Eigenverantwortung jedes Ehegatten
gestärkt wird, sodass ein Geschiedener grundsätzlich selbst für seinen
Unterhalt zu sorgen hat.
Ferner war die Möglichkeit eröffnet worden, den
nachehelichen Unterhalt im Einzelfall unter Billigkeitsgesichtspunkten
herabzusetzen bzw. zeitlich zu begrenzen. Desweiteren war die Rangfolge
der Unterhaltsberechtigten für den Fall, dass der Unterhaltspflichtige
nicht in der Lage ist, allen (alten und neuen Ehepartnern und Kinder),
Unterhalt zu leisten (sogenannter Mangelfall), neu festgelegt worden:
Während den minderjährigen Kindern der erste Rang zugewiesen ist, wurden
geschiedene und nachfolgende Ehegatten im Rang grundsätzlich
gleichgestellt.
2. Rechtsprechung des BGH
Diese
Gesetzesänderung nahm dann der BGH in seiner zitierten Entscheidung im
Jahre 2008 (BGHZ 177, 356) zum Anlass, auch die konkrete
Unterhaltsberechnung bei Wiederverheiratung zu ändern:
Da es für
Geschiedene keine Lebensstandardgarantie mehr geben könne und die
Lebensverhältnisse in modernen Zeiten nun einmal wandelbar seien, müsse
die Gründung von neuen Familien auch erleichtert werden, sodass sich
Geschiedene deshalb nicht darauf verlassen könnten, dass es bei dem
Unterhalt, der ihnen zusteht, auch wirklich bleibt, insbesondere eben
bei neuerlicher Eheschließung des unterhaltsverpflichteten ehemaligen
Ehepartners.
Der BGH entwickelte daraufhin bei der Berechnung des Unterhalts zugunsten des Geschiedenen die sogenannte Dreiteilungsmethode:
Diese addiert zunächst die Einkünfte des unterhaltsberechtigten
geschiedenen Ehegatten und des Unterhaltsverpflichteten und seines neuen
Ehepartners und teilt dann das Gesamteinkommen durch drei. Von diesem
gedrittelten Bedarf wurde dann noch das etwaige eigene Einkommen des
alten unterhaltsberechtigten Ehepartners abgesetzt, diese Differenz
bildete dann die konkrete Unterhaltshöhe.
Viele Geschiedene
erhielten so von ihrem Ex-Partner, der neu verheiratet war, weniger
Geld, da über diese Berechnungsmethode eben nicht nur die einstigen
ehelichen Vermögensverhältnisse angesetzt wurden, sondern eben nun auch
der geänderte Umstand der Neuverheiratung und damit die
Einkommensverhältnisse des neuen Ehegatten mit einflossen.Klartext:
Wenn ein Mann nach der Scheidung erneut geheiratet hat und seine neue
Frau nichts oder wenig verdient, dann ging das nun zu Lasten der
früheren Ehefrau. Ihr Unterhaltsbedarf wurde von vornherein gekürzt; die
frühere Ehefrau finanziert sozusagen die neue.
Beispiel:
- Einkommen geschiedene Ehefrau: 400,00 €
- Einkommen geschiedener Ehemann: 3.000,00 €
- Einkommen neue Ehefrau: 200,00 Gesamt: 3.600,00 €
- Bedarf geschiedene Ehefrau:
- 3.600,00 € : 3 = 1.200,00 €
- Abzüglich eigenes Einkommen
- – 400,00 € = 800,00 €
- Unterhaltsanspruch: 800,00 €
Nach
der Dreiteilungsmethode erhielt die geschiedene Ehefrau somit nur
800,00 € und kam mit eigenen Einkünften auf lediglich 1.200,-- €, obwohl
sie und ihr ehemaliger Ehegatte zusammen immerhin 3.400,-- € verdienten
und verdienen. In extremen Fällen führte die neue Rechtsprechung noch
zu ganz anderen Ergebnissen, nämlich dann, wenn die neue Ehefrau gar
nichts verdiente: dann kam es vor, dass ein Unterhaltsanspruch komplett
nur deshalb entfiel, weil die neue Ehefrau kein eigenes Einkommen hatte.
II. Entscheidung des BVerfG.
Das BVerfG hat nun dieser Rechtsprechung des BGH eine Absage erteilt:
Der
Gesetzgeber habe zwar in seiner Reform 2008 einiges geändert, an der
Struktur der Unterhaltsbestimmung an sich jedoch festgehalten, dies
insbesondere eben bzgl. der Ausrichtung des Unterhaltsmaßes an den
ehelichen Lebensverhältnissen, mit der der Gesetzgeber auf die
individuellen Einkommensverhältnisse der geschiedenen Ehegatten Bezug
genommen hat, die er nach wie vor zum Zeitpunkt der Scheidung bestimmt
wissen will. Über dieses beibehaltene Konzept setze sich die neue
Rechtsprechung des BGH nunmehr aber hinweg, indem er einen Systemwechsel
vornimmt, bei dem sie die gesetzgeberische Grundentscheidung zur
Bestimmung des Unterhaltsbedarfs durch eigene
Gerechtigkeitsvorstellungen ersetzt. Dieser Systemwechsel des BGH lasse
sich aber mit keiner der anerkannten Auslegungsmethoden eines Gesetzes
rechtfertigen. Es laufe dem klaren Wortlaut, der Systematik und der
Intention des Gesetzes zuwider, dass nicht die "ehelichen Verhältnisse", sondern die nachehelichen Verhältnisse zum Maßstab des Unterhaltsbedarfes
gemacht werden.
Das BVerfG verwies den Rechtsstreit sodenn an das
Oberlandesgericht (OLG) wieder zurück, in dessen Urteil die Grundsätze
des BGH und seiner Dreiteilungsmethode zugrunde gelegt worden war.
III. Auswirkung
Die
geänderte Rechtsprechung des BGH ist damit juristische Historie.
Nachehelicher Unterhalt muss in Zukunft wieder nach den bisherigen
Grundsätzen ermittelt werden, die vor 2008 galten.
Beispiel (Zahlen entsprechend obigem Beispiel)
- Einkommen geschiedene Frau: 400,00 €
- Einkommen geschiedener Mann: 3.000,00 €
- Einkommen neue Ehefrau: 200,00 €
- Bedarf geschiedene Ehefrau:3.400,00 € : 2 = 1.700,00 €
- Abzüglich eigenes Einkommen– 400,00 € = 1.300,00 €
- Unterhaltsanspruch Geschiedene Frau: 1.300,00 €
Die
geschiedene Ehefrau kommt daher auf ein Gesamteinkommen von 1.700,-- €,
so auch der geschiedene Ehemann, der mit seiner neuen Frau aber nun von
insgesamt 1.900,-- € leben muss. Die geschiedene Ehefrau erhält daher
in der Regel wieder deutlich mehr, als nach der zwischenzeitlichen
Dreiteilungsmethode.
In der Praxis viel häufiger sind allerdings
die sogenannten Mangelfälle, in denen das Einkommen nicht ausreicht, um
alle Unterhaltsansprüche zu bedienen, ohne unter deneigenen
Selbstbehaltsgrenzen zu geraten: Hier gilt ohne Rückgriff auf alte oder
neue Rechtsprechung die seit 2008 geltende Gesetzeslage: Minderjährige
Kinder sind vorrangig, dann folgen auf einer Stufe die
unterhaltsberechtigte geschiedene Ehefrau und die neue Ehefrau, deren
Unterhaltsansprüche jeweils anteilig zu kürzen sind.
IV. Bewertung:
Die
Bewertung der Entscheidung fällt schwer: die Entscheidungen des BGH und
die neuerliche Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes spiegeln
letztlich nur das unheilvolle Dilemma der Problematik selbst wieder:Soll
ein unterhaltsverpflichtete geschiedener Ehegatte quasi auf ewig nach
der Scheidung finanziell gebunden sein ohne Möglichkeit, eine neue Ehe
zu begründen, bei der auch die neue Ehefrau durch den Ehemann finanziert
wird, oder soll die geschiedene Ehefrau den Umstand der Neuverheiratung
finanziell mittragen müssen?
Beide Entscheidungen geben letztlich
die unversöhnliche gegenüberstehenden Ansichten wieder, die Wahrheit
dürfte in der Mitte liegen. Die gesetzliche Wahrheit aber hat das BVerfG
zutreffend ermittelt: die – auch in Fachkreisen bereits seit längerem
umstrittene - Unterhaltsberechnung des Bundesgerichtshofes seit 2008 ist
aus der Gesetzeslage tatsächlich nicht ableitbar, sondern eigenständige
und der Judikative nicht zustehende Rechtsfortbildung.
In der
Praxis dürften damit die Problemkreise der Beschränkung des
nachehelichen Unterhaltes in zeitlicher Hinsicht noch mehr in den Fokus
der Auseinandersetzungen geraten, da letztlich nur über dieses
Instrumentarium die finanzielle Belastung des Unterhaltsverpflichteten
gegenüber zwei Unterhaltsberechtigten ausgehebelt werden kann.
V. Fazit
Bestehende
Unterhaltstitel (Urteile und Vergleiche), welche unter Maßgabe der
Rechtsprechung des BGH seit 2008 ergangen beziehungsweise geschlossen
wurden, sollten in jedem Fall von den Betroffenen auf ihre
Abänderbarkeit überprüft werden.
Rechtsanwalt Mathias Henke - Dortmund -