Rechtstipp im Bau- und Architektenrecht
Behinderungen am Bau und die richtige Behinderungsanzeige
I. Was sind Behinderungen?
Häufig kommt es im Rahmen von Bauarbeiten zu unvorhergesehenen oder nicht geplanten Situationen, die den geplanten und kalkulierten Bauablauf mehr oder weniger wesentlich beeinträchtigen. Problematisch ist hierbei, dass solche Störungen dazu führen können, dass verbindliche Termine nicht eingehalten werden können, neue kostenträchtige Dispositionen getroffen und unter Umständen weiteres Personal und Gerätschaften auf die Baustelle geschafft werden müssen.
Unter dem Begriff der „Behinderung“ versteht man im juristischen Sinne die Abweichung des tatsächlichen Bauablaufs (Ist – Verlauf) von dem vertraglich vorgesehenen Ablauf (Soll – Verlauf). Kurz gesagt ist eine Behinderung ein Ereigniss während der Bauarbeiten, mit dem man nicht gerechnet hat und das dazu führt, dass der Ablauf in irgendeiner Weise umgestellt werden muss.
Behinderungen können sich jedoch nicht nur aus den Abläufen auf der Baustelle ergeben. Auch juristische Konflikte zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer können eine Behinderung zur Folge haben. So zum Beispiel, wenn der Auftraggeber eine Sicherheit nach § 648 BGB nicht leistet, auf eine Bedenkenanmeldung nicht reagiert (dazu unten) oder dem Auftragnehmer aus einem anderen Grund das Recht zusteht, die Arbeiten einzustellen.
Beispiele für Behinderungen in diesem Sinne sind:
• Verspätete Übergabe von Plänen
• Keine oder eine zu spät erteilte Baugenehmigung
• Geänderte oder zusätzliche Leistungen
• Massenmehrungen
• Fehlende Vorleistungen anderer Vorunternehmer
• Geänderte Wegeführung auf der Baustelle
• Schlechte Witterungsbedingungen
• Mangelhafte Koordination durch den Bauleiter
• Verspätete Mitteilungen des Auftraggebers
• Fehlende Reaktion auf Bedenkenmitteilungen
• Verweigerung eines Nachtrags
• Der unzulässige Einbehalt von Abschlagszahlungen
II. Die Gerichtsfeste Dokumentation von Bauablaufstörungen
Solche Behinderungen können Ansprüche des Auftragnehmers auf Schadensersatz, Vergütung und Fristverlängerung ermöglichen. Zumeist müssen die Fragen dann, wenn es um die Bezahlung der erbrachten Leistungen geht, zeitlich weit nach den Behinderungen geklärt werden. Oft ist es dann notwendig, diese Streitpunkte in einem gerichtlichen Verfahren klären zu lassen, um seine Ansprüche durchsetzen können. Um dabei Erfolgreich zu sein, ist es jedoch notwendig den Grundstein im Voraus während der Bauarbeiten zu legen.
So Aufwändig und lästig die nachfolgend beschriebenen Maßnahmen auch erscheinen mögen, sie sind dennoch unerlässlich, um seine Rechte zu wahren. Die Erfahrung und auch die Rechtsprechung in diesem Bereich hat gelehrt, dass es einfacher ist, solche Störungen von Beginn an zu dokumentieren und darzustellen, als sie im Nachhinein für ein Gerichtsverfahren aufzubereiten. Zumeist wird bis dahin eine lange Zeit vergangen sein und es ist nur schwer möglich, die gesamten Vorkommnisse so, wie es die Rechtsprechung erfordert, im Nachhinein aufzubereiten. Der Bundesgerichtshof hat die Pflichten des Auftragnehmers hinsichtlich Behinderungen wegen verspäteter Vorlage von Ausführungsplänen in einer Entscheidung vom 21.03.2002 wie folgt zusammengefasst:
„Es ist in der Regel eine konkrete bauablaufbezogene Darstellung der jeweiligen Behinderungen unumgänglich. Diese Muss auch diejenigen unstreitigen Umstände berücksichtigen, die gegen eine Behinderung sprechen, wie z.B. die Lieferung von Vorabzügen, nach denen tatsächlich zu den vorgesehenen Zeiten gearbeitet worden ist, oder die wahrgenommene Möglichkeit, einzelne Bauabschnitte vorzuziehen. Erst der möglichst konkrete Vortrag zur Behinderung erlaubt die Beurteilung, inwieweit eine Anzeige erforderlich oder wegen Offenkundigkeit entbehrlich war und inwieweit auf sie zurückzuführende Schäden für den Auftragnehmer entstanden sind. Der Senat hat bereits darauf hingewiesen, daß die Forderung nach einer konkreten Darstellung auch bei Großbaustellen nicht überhöht ist, weil es dem Auftragnehmer gerade in einem Fall, in dem er sich behindert fühlt, zuzumuten ist, eine aussagekräftige Dokumentation zu erstellen, aus der sich die Behinderung sowie deren Dauer und Umfang ergeben. Soweit ein Auftragnehmer mangels einer ausreichenden Dokumentation der Behinderungstatbestände und der sich daraus ergebenden Verzögerungen zu einer den Anforderungen entsprechenden Darstellung nicht in der Lage ist, geht das grundsätzlich nicht zu Lasten des Auftraggebers.“
Von herausragender Wichtigkeit ist es daher im Falle von Bauablaufstörungen, diese entsprechend den von der Rechtsprechung hierzu entwickelten Maßstäben zu dokumentieren. Denn nur so kann der Bauunternehmer belegen, dass die Verzögerung nicht auf eigener Nachlässigkeit beruht und sich eine gesicherte Beweisgrundlage schaffen, um in einem möglicherweise nachfolgenden Rechtsstreit Schadensersatzansprüche des Auftraggebers wegen der Verzögerungen abzuwehren, bzw. auch eigene Ansprüche durchzusetzen.
Ausgangspunkt für die Dokumentation der Bauablaufstörung ist die Behinderungsanzeige.
Der Bauunternehmer hat dem Auftraggeber hiernach unverzüglich eine schriftliche Anzeige zu machen, wenn er sich in der ordnungsgemäßen Ausführung der Leistung behindert glaubt, also absieht, dass er die vereinbarten vertraglichen Ausführungsfristen, bzw. –termine nicht wird einhalten können.
Nur hierdurch kann er eine entsprechende Verlängerung der Ausführungsfristen erreichen, § 6 Abs. 2 VOB/B und sich diesbezügliche Schadensersatzansprüche erhalten, § 6 Abs. 6 VOB/B. Hinzukommt, dass sich der Bauunternehmer selbst Schadensersatzpflichtig machen kann, wenn er eine solche Anzeige unterlässt, denn diese Anzeige dient nicht nur seinem Schutz, sondern auch dem des Auftraggebers, wie noch aufgezeigt wird.
Im Einzelnen sind bei der Formulierung der Behinderungsanzeige folgende Punkte zu beachten:
1. Glauben an Behinderung
Der Auftragnehmer muss zunächst einen Anlass haben zu glauben, er werde in der Erbringung seiner Leistung behindert. Das heißt, es muss keine tatsächliche Behinderung bestehen. Es reicht eine objektiv begründete Besorgnis des Auftragnehmers, eine Behinderung werde eintreten. Auch muss eine Behinderung tatsächlich noch nicht eingetreten sein, es reicht die Vermutung, dass Sie aller Voraussicht nach eintreten wird. Erst recht kann natürlich eine Behinderungsanzeige abgegeben werden, wenn schon tatsächlich eine Behinderung eingetreten ist.
2. Unverzüglichkeit
Die Behinderung ist unverzüglich anzuzeigen. Der Jurist spricht von eine Anzeige ohne schuldhaftes Zögern. In der Praxis bedeutet das, sobald man sich behindert sieht, ist die Behinderung anzuzeigen. Mehr als 3 Tage sollten dabei nicht vergehen. Es kommt nämlich nicht nur darauf an, seine eigene Behinderung anzuzeigen und seine Ansprüche zu sichern. Es soll auch dem Auftraggeber ermöglicht werden, so schnell wie möglich auf Störungen bei seinem Bauvorhaben zu reagieren, damit er Abhilfe schaffen kann.
3. Schriftform
§ 6 Abs. 1 VOB/B verlangt zudem die schriftliche Mitteilung der Behinderung. Das ist jedoch kein Wirksamkeitserfodernis. Ebenso wäre es möglich, die Behinderung mündlich anzuzeigen. Allerdings empfiehlt sich die Einhaltung der Schriftform dringend aus Beweisgründen. Den im Rahmen eines etwaigen späteren Gerichtsverfahrens wird sich weder der Auftragnehmer detailliert daran erinnern, was und wann genau er seinem Auftraggeber hinsichtlich der Behinderung auf der Baustelle zugerufen hat, noch der Auftraggeber, dass ihm überhaupt etwas über Behinderungen gesagt wurde. Daher gilt auch hier der alte Grundsatz „Wer schreibt, der bleibt“.
4. Inhalt der Behinderungsanzeige
Am wichtigsten ist natürlich die Frage, welchen Inhalt eine Behinderungsanzeige haben muss.
Bei der Formulierung einer solchen sollte man sich immer vor Augen führen, welche Funktion diese hat. Zweck der Behinderungsanzeige ist der Schutz des Auftraggebers. Dieser soll umfassend und detailliert über die bestehenden Störungen und deren voraussichtliche Auswirkungen auf den Arbeitsfortgang informiert sein, um in der Lage zu sein, rechtzeitig Maßnahmen zu ergreifen und entsprechend Abhilfe schaffen zu können. D.h. die Anzeige hat eine Informations Schutz und Warnfunktion.
Keinesfalls genügt die pauschale Mitteilung, dass es zu Behinderungen komme. Um auf das obige Beispiel des BGH mit den fehlenden Plänen zurückzukommen: Die Mitteilung, man könne mit dem Bau wegen fehlender Pläne nicht beginnen, reicht bei weitem nicht aus. Der Auftragnehmer muss vielmehr so genau wie möglich darlegen, welche konkreten Arbeiten er aufgrund welcher Umstände nicht wie geplant durchführen kann, welche Auswirkungen das auf die Bauzeit und weitere Maßnahmen hat, warum keine alternativen Ausweichmöglichkeiten bestehen etc. Werden die Arbeiten durch die Behinderungen nicht komplett unmöglich, sondern nur erschwert, hat der Auftragnehmer so genau wie möglich anzuzeigen, welche Erschwernisse durch die notwendig gewordene Änderung des Bauablauf eintreten.
Sind z.B. die ursprünglich vorgesehenen Wege auf der Baustelle nicht befahrbar, ist anzugeben, welcher Weg nun befahren werden muss, welche Zeitverluste hierdurch auftreten, wieviel zusätzliche LKWs oder – wegen etwaiger Einschränkungen technischer oder rechtlicher Art – andere Fahrzeuge mit einem geringeren Leistungsgrad eingesetzt werden müssen.
Nicht notwendig ist es, schon zum Zeitpunkt der Anzeige detaillierte Ausführungen zu etwaigen Mehrkosten, Schadensersatz oder konkrete Vorschläge zur Verlängerung der vertraglich vereinbarten Fristen zu machen. Ein Vorbehalt der weiteren Rechte sollte hingegen erklärt werden.
5. Adressat der Behinderungsanzeige
Grundsätzlich sind Behinderungsanzeigen, wie im Grunde alle Mitteilungen, an den Auftraggeber zu richten. Allerdings kann es auch ausreichen, diese dem bauaufsichtführenden Architekten oder dem Ingenieur zu geben, nachdem dieser mit der Koordination des Bauvorhabens betraut ist. Wenn man jedoch befürchten muss, dass der die Bauaufsicht Führende die Anzeige nicht weiterleiten wird, sei es, weil diese gerade seine eigenen Versäumnisse betrifft oder er im Vorhinein sich weigerte, Abhilfe zu schaffen, muss die Anzeige unbedingt an den Auftraggeber gerichtet werden. Allerdings sollte man, wenn man weiter harmonisch mit den Beteiligten zusammenarbeiten möchte, ein wenig Fingerspitzengefühl zeigen, um den anderen nicht zu verprellen.
6. Weitere Dokumentation der Behinderung
Neben der Behinderungsanzeige als solcher ist auch eine während der Dauer der Behinderung permanent fortzuschreibende Dokumentation der Behinderung oder auch dessen Wegfall sowie des Fortgangs der Arbeiten für eine spätere erfolgreiche Durchsetzung der Ansprüche unerlässlich.
Die Rechtsprechung behandelt diese Frage unter dem Stichwort Bauablaufbezoge Darstellung. Das ist im Grunde „nur“ die vergleichende Darstellung dessen, wie der Bauablauf geplant war und wie er dann tatsächlich ablief. Allerdings wird eine solche Darstellung und die Darlegung der daraus resultierenden Mehrkosten, Schadensersatzansprüche wie auch der Bauzeitverlängerung in der Praxis nur möglich sein, wenn die Dokumentation der Ereignisse und Folgen während des Bauvorhabens sorgfältig geführt und mit dem ursprünglichen Soll verglichen werden kann.
In dieser Dokumentation ist detailliert zu beschreiben, welche Arbeiten wann, wo und durch welche Arbeitskräfte und Maschinen ausgeführt wurden und welcher Zeitaufwand hierfür notwendig war, welche Leistungsminderung damit einhergeht, welche Kosten entstanden sind etc
Eine Gegenüberstellung dieser Dokumentation mit dem ursprünglich geplanten Ablauf im Rahmen eines Soll-Ist Vergleichs ermöglicht es dann, die zusätzlichen Kosten wie auch benötigte Bauzeitverlängerung nachzuvollziehen. Solche Darstellungen können zudem unterstützt werden durch vergleichbare Aufstellungen aus Bauabschnitten, in denen keine Behinderung bestand, um vor Gericht die Behinderungsauswirkung auf den Baufortschritt unter Beweis zu stellen.
Die Dokumentationen sollten vorzugsweise durch entsprechend anzufertigende Fotografien oder erläuternden Markierungen in Bauplänen, Straßenplänen und Ähnlichem untermauert werden.
III. Ansprüche und Geltendmachung durch den Bauunternehmer
Neben der der Dauer der Behinderung entsprechenden Verlängerung der Ausführungsfristen können dem Bauunternehmer verschiedene Ansprüche (auf Vergütung des zeitlichen Mehraufwands oder Schadensersatz) wegen der eingetretenen Verzögerungen zustehen.
Diese hängen im Einzelfall davon ab, ob der zeitliche Mehraufwand auf einer Anordnung des Auftraggebers beruht, die Verzögerung vom Auftraggeber zu vertreten ist oder sich dieser im Annahmeverzug befindet.
Geltend gemacht werden diese Kosten in Form von Nachträgen.
Herauszustellen ist aber, dass es jedenfalls für die Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs nach § 6 Abs. 6 VOB/B notwendig ist, zuvor eine den oben skizzierten Anforderungen entsprechende Behinderungsanzeige abgegeben zu haben.
Praxistipp:
Viele Auftragnehmer zieren sich davor, ihren Auftraggeber mit Behinderungsanzeigen zu „bombardieren“ und damit das Vertragsverhältnis zu belasten. Eine weitere Möglichkeit der Behinderungsanzeige ist das Bautagebuch. Eine Baubehinderung kann auch dadurch angezeigt werden, dass diese in ein Bautagebuch aufgenommen wird. Auf diese Weise kann eine möglicherweise drohende Belastung des Vertragsverhältnisses zum Auftraggeber durch die direkte Behinderungsanzeige vermieden werden. Es muss aber darauf geachtet werden, dass das entsprechende Blatt dem Auftraggeber zeitnah übermittelt wird um sich nicht dem Argument ausgesetzt zu sehen, die Eintragung stelle keine Behinderungsanzeige im Sinne des § 6 Abs. 1 VOB/B dar. Nicht Dringend notwendig, aber dennoch empfehlenswert ist es, wenn die Entsprechenden Eintragungen Gegengezeichnet werden
IV. Subunternehmer und Behinderungsanzeigen
Ernst nehmen sollte der Bauunternehmer auch Behinderungsanzeigen seiner Subunternehmer. Oft sind – berechtigte oder unberechtigte – Behinderungs-anzeigen in der Welt. Man sollte sich mit diesen auseinandersetzen. Sind sie unberechtigt, empfiehlt es sich, diese schriftlich begründet zurückzuweisen. Sind sie jedoch begründet, sollten diese Anzeigen, in eigenem Namen und unter eigenem Briefkopf, an den eigenen Auftraggeber weitergeleitet werden. So kann verhindert werden, dass der Subunternehmer seine Ansprüche durchsetzt, man selbst jedoch wegen der fehlenden Anzeige leer ausgeht.
VI. Zusammenfassung
Die erfolgreiche Geltendmachung von Ansprüchen aus Behinderungen setzt eine ausführliche Behinderungsanzeige sowie eine nachvollziehbare Dokumentation der Behinderungen voraus.
Die Behinderungsanzeige ist unverzüglich an den Auftraggeber zu richten und soll folgende Informationen enthalten: Ort und Zeit der Behinderung, voraussichtliche Dauer der Behinderung, Gründe der Behinderung, Folgen der Behinderung und zeitliche sowie organisatorische Auswirkungen auf den Bauablauf.
Daneben sind die Behinderungen, die getroffenen Maßnahmen zur Kompensation der Behinderung, Beschleunigungsmaßnahmen, Zusatzkosten und weitere Dispositionen, die sich auf Zeit und Kosten auswirken, gesondert ausführlich und umfassend zu dokumentieren. So soll gewährleistet werden, dass im Falle einer streitigen Auseinandersetzung ein nachvollziehbarer Vergleich zwischen dem Ist- und Soll – Bauablauf und den sich daraus ergebenden Konsequenzen möglich ist.
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht Y. S. Kaan Kalkan
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