Rechtstipp im Arbeitsrecht
Unwahrer Prozessvortrag als Auflösungsgrund
Das Landesarbeitsgericht Köln hat mit Urteil vom 21.09.2020 zum Aktenzeichen 3 Sa 599/19 entschieden, dass eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber nicht zu erwarten ist, wenn der Arbeitnehmer im Prozess bewusst wahrheitswidrig vorträgt.
Nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG hat das Arbeitsgericht auf Antrag des Arbeitgebers das Arbeitsverhältnis aufzulösen, wenn eine vom Arbeitgeber erklärte Kündigung nicht gemäß § 1 KSchG sozial gerechtfertigt ist und Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen.
Als Auflösungsgründe für den Arbeitgeber im vorgenannten Sinn kommen Umstände in Betracht, die das persönliche Verhältnis zum Arbeitnehmer, eine Wertung seiner Persönlichkeit, Leistung oder Eignung für die ihm übertragenen Aufgaben und sein Verhältnis zu den übrigen Mitarbeitern betreffen. Die Gründe, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Vertragspartnern nicht erwarten lassen, müssen nicht im Verhalten, insbesondere nicht im schuldhaften Verhalten des Arbeitnehmers liegen. Entscheidend ist, ob die objektive Lage bei Schluss der mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz die Besorgnis rechtfertigt, eine weitere gedeihliche Zusammenarbeit sei gefährdet (BAG, Urteil vom 19.11.2015 – 2 AZR 217/15, juris; LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 02.12.2019 – 3 Sa 234/19, juris).
Auch das Verhalten des Arbeitnehmers im Kündigungsschutzprozess kann die Auflösung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen (LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 08.10.2019 – 2 Sa 123/19, juris). Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Parteien zur Verteidigung ihrer Rechte schon im Hinblick auf das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) alles vortragen dürfen, was als rechts-, einwendungs- oder einredebegründender Umstand prozesserheblich sein kann. Anerkannt ist insbesondere, dass ein Verfahrensbeteiligter starke, eindringliche Ausdrücke und sinnfällige Schlagworte benutzen darf, um seine Rechtsposition zu unterstreichen, selbst wenn er seinen Standpunkt vorsichtiger hätte formulieren können.
Das gilt freilich nur in den Grenzen der Wahrheitspflicht. Zudem dürfen die Parteien nicht leichtfertig Tatsachenbehauptungen aufstellen, deren Unhaltbarkeit ohne Weiteres auf der Hand liegt (BAG, Urteil vom 24.05.2018 – 2 AZR 73/18, NZA 2018, 1131; BAG, Urteil vom 24.03.2011 – 2 AZR 674/09, NZA-RR 2012, 243). Dementsprechend ist bewusst wahrheitswidriger und falscher Tatsachenvortrag in Bezug auf die vom Arbeitgeber angeführten Kündigungsgründe geeignet, einen Auflösungsgrund zu bilden. Derartiger Vortrag, den der Arbeitnehmer hält, weil er befürchtet, mit wahrheitsgemäßen Angaben den Prozess zu verlieren, kann zur gerichtlichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses führen. Dabei kommt es weder auf die strafrechtliche Relevanz seines Handelns, noch darauf an, ob der wahrheitswidrige Vortrag letztlich für das Gericht entscheidungserheblich ist. Ausreichend ist, dass er es hätte sein können. Selbst der „untaugliche Versuch“ eines „Prozessbetrugs“ kann das Vertrauen des Arbeitgebers in die Redlichkeit des Arbeitnehmers irreparabel zerstören (BAG, Urteil vom 24.05.2018 – 2 AZR 73/18, NZA 2018, 1131).
Ausgehend von diesen Grundsätzen liegen die Voraussetzungen für die gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses vor.
Wie oben ausgeführt ist die ordentliche Kündigung der Beklagten sozialwidrig im Sinne des § 1 KSchG.
Außerdem liegen Gründe vor, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen der Beklagten und dem Kläger nicht erwarten lassen, denn der Kläger hat erstinstanzlich bewusst wahrheitswidrigen Prozessvortrag gehalten.
Der unwahre Prozessvortrag des Klägers hat die Vertrauensgrundlage des zwischen ihnen bestehenden Arbeitsverhältnisses grundlegend zerstört. Dabei ist zum einen Position des Klägers im Unternehmen der Beklagten zu gewichten. Unabhängig von dem streitigen Vortrag über die Befugnisse und Aufgaben des Klägers im Bereich der konkreten Urlaubsabwicklung war der Kläger unstreitig in einer herausgehobenen Führungsposition im Personalbereich tätig. Nach seinem eigenen Vortrag trug er HR-Verantwortung für 250 Arbeitnehmer der Beklagten. In einer derart herausgehobenen Funktion, zudem im Personalbereich, ist gegenseitiges Vertrauen zwingende Voraussetzung für eine dienliche Zusammenarbeit. Nach dem oben dargestellten, bewusst wahrheitswidrigen Prozessvortrag des Klägers ist dieses Vertrauen offensichtlich erheblich gestört. Dabei ist es nach der zutreffenden Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts völlig unerheblich, dass der maßgebliche Prozessvortrag des Klägers für die rechtliche Beurteilung der ursprünglichen Kündigungsschutzklage vermeintlich ohne Relevanz war. Zum anderen ist die Beharrlichkeit des Klägers zu berücksichtigen, mit der er an dem wahrheitswidrigen Prozessvortrag festhält. Darüber hinaus wirft der Kläger der Beklagten seinerseits wahrheitswidrigen Prozessvortrag wegen des aufrecht erhaltenen Auflösungsantrags vor. Deutlicher kann eine Zerrüttung nicht zu Tage treten.