Rechtstipp im Arbeitsrecht
Tätigkeit als Schwerbehindertenvertreter bei Disziplinarverfahren
Das Landesarbeitsgericht Köln hat mit Beschluss vom 21.08.2020 zum Aktenzeichen 10 TaBVGa 2/20 entschieden, dass bei einer hinreichenden Ungewissheit über den Fortbestand eines Dienstverhältnisses als Beamter aufgrund eines Disziplinarverfahrens das Bundesamt nicht verpflichtet ist, die Amtsführung des Beamten als Bezirksschwerbehindertenvertreter zu dulden. Dies ergibt sich aus einer gebotenen Parallelwertung zum Verhältnis bei der Amtsführung von Betriebsräten.
Die Beteiligten streiten im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens um die Duldung der Amtsausübung des Bezirksschwerbehindertenvertreter.
Der Beteiligte zu 1) ist auf Lebenszeit verbeamtet und bis Januar 2023 als Bezirksschwerbehindertenvertreter im Geschäftsbereich des Beteiligten zu 2) und als stellvertretende Vertrauensperson in der Hauptschwerbehindertenvertretung beim B d V gewählt. Zur Ausübung seiner Tätigkeit als Bezirksschwerbehindertenvertreter ist er vollumfänglich von der Erbringung dienstlicher Aufgaben bei dem Beteiligten zu 2) freigestellt. Zur Erfüllung seiner Aufgaben als Bezirksschwerbehindertenvertreter wurde dem Beteiligten zu 1) durch die Beteiligte zu 2) ein Dienstfahrzeug zur Verfügung gestellt, welches der Beteiligte zu 1) nicht einer privaten Nutzung unterziehen durfte.
Seit dem Jahr 2018 führte das Bundesamt gegen den Beteiligten zu 1) disziplinarrechtliche Ermittlungen im Zusammenhang mit der Nutzung des zur Verfügung gestellten Dienstwagens für private Zwecke durch. Am 05.11.2018 wurde ein Disziplinarverfahren eingeleitet, in dessen Rahmen dem Beteiligten zu 1) vorgeworfen wird, seit 2017 die ihm zur Verfügung gestellten Dienstfahrzeuge in insgesamt 150 Fällen und in erheblichem Umfang für private Zwecke genutzt zu haben und dabei in mindestens 43 Fällen Kilometerangaben von dienstlichen Fahrten falsch angegeben und Fahraufträge manipuliert zu haben. Wegen der einzelnen Vorwürfe wird auf die Ausführungen des Bundesamtes in deren Disziplinarklage vom 03.03.2020 vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Aktenzeichen: 37 K 1323/20.BDG). Mit vorheriger Verfügung vom 02.03.2020 ordnete das Bundesamt gemäß § 38 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. BDG an, den Beteiligten zu 1) vorläufig des Dienstes zu entheben. Hiergegen richtet sich der Antrag des Beteiligten zu 1) auf Aussetzung dieser Verfügung vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf unter dem Aktenzeichen 37 L 484/20.BDG.
Mit Schreiben vom 08.04.2020 forderte das Bundesamt den Beteiligten zu 1) zur Herausgabe des Hausausweises, der Büroschlüssel und des überlassenen Mobiltelefons auf.
Mit seinem Antrag vom 07.04.2020, der am selben Tag beim Arbeitsgericht in Bonn eingegangen ist, macht der Beteiligte zu 1) gegenüber dem Bundesamt geltend, sein Ehrenamt als Bezirksschwerbehindertenvertreter ungeachtet der Verfügung der vorläufigen Dienstenthebung weiterhin ungehindert ausüben zu dürfen.
Er hat erstinstanzlich gemeint, die Voraussetzung des § 38 Abs. 1 BDG sei nicht erfüllt, da ihm keine
Entgegen dem Beschwerdevorbringen des Beteiligten zu 1) ist dies auch in der Verfügung vom 02.03.2020 durch die Bezugnahme auf § 38 Abs. 1 Satz 1 BDG ausgedrückt worden.
In diesem Zusammenhang ist eine Parallelwertung zum Verhältnis bei der Amtsführung von Betriebsräten geboten. Das Bundesarbeitsgericht hat im Beschluss vom 10.11.2004 (7 ABR 12/04) darauf verwiesen, dass das Betriebsratsmitglied bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens über die Wirksamkeit einer Kündigung an der Ausübung seines Amtes verhindert ist und in diesem Fall das Ersatzmitglied nach § 25 Abs. 1 Satz 2 BetrVG vorübergehend in das Amt eintritt. Bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsrechtsstreits ist die Mitgliedschaft des betroffenen Betriebsratsmitglieds im Betriebsrat grundsätzlich zweifelhaft. Diese Ungewissheit über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses führt in der Regel dazu, dass von einer Verhinderung des Betriebsratsmitglieds an der Amtsausübung auszugehen ist (vgl. LAG Köln, Beschluss vom 27.07.2011 – 9 TaBVGa 2/11 -; LAG Hamburg, Beschluss vom 06.10.2005 – 7 TaBV 7/05 -; Fitting, § 24 BetrVG, Randziffer 17).
Eine Gleichstellung der Vertrauensleute für Schwerbehinderte ist aus § 177 Abs. 1 Satz 1 SGB IX im Verhältnis zu anderen Arbeitnehmervertretern zu folgen.§ 179 Abs. 7 Satz 3 SGB IX stellt keine eigenständige abweichende Regelung für diesen Personenkreis dar. Diese Vorschrift betrifft nämlich die komplette Amtsenthebung und nicht – wie hier – die zeitweilige Verhinderung des Beteiligten zu 1).
Eine offensichtliche Unwirksamkeit der Maßnahme der Beteiligten zu 2) ist vorliegend nicht zu erkennen. Insbesondere ist nicht ausgeschlossen, dass die Höchstmaßnahmenprognose gemäß den §§ 38, 39 BDG in Form der Entfernung aus dem Dienst greift. Dies hat zur Folge, dass die vergleichbare Lage – nämlich der Zweifel an dem Fortbestand des Arbeits- bzw. wie hier des Dienstverhältnisses – wie bei der Konstellation eines Rechtsstreits um die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung eines Betriebsratsmitgliedes oder Personalratsmitgliedes und deren Freistellung im Anstellungsverhältnis gegeben ist.
Für eine dementsprechende Gleichstellung spricht auch das Regelungsmodell des § 30 BPersVG.
Nach alldem hat das Arbeitsgericht zu Recht und überzeugend den Antrag des Beteiligten zu 1) zurückgewiesen.
Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben (vgl. §§ 92Abs. 1 Satz 3, 85 Abs. 2 ArbGG).