Rechtstipp im Arbeitsrecht
Rechtsirrtümer im Arbeitsrecht
Gerade im Arbeitsrecht tummelt sich sowohl auf Arbeitnehmer- als auch auf Arbeitgeberseite eine Vielzahl von Rechtsirrtümern. Diese sind teilweise von erheblicher Bedeutung für die Rechte und Pflichten der Parteien eines Arbeitsverhältnisses. Im folgenden Beitrag sollen die „populärsten" Irrtümer kurz richtig gestellt werden:
Irrtum 1: „Vor Ausspruch der Kündigung muss der Arbeitnehmer dreimal abgemahnt werden.“
Nein, vor dem Ausspruch einer verhaltensbedingten Kündigung im Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes (mehr als 10 Arbeitnehmer im Betrieb) ist nur eine Abmahnung erforderlich. Diese muss aber ein und dieselbe Pflichtverletzung wie die der Kündigung betreffen. Bei Kleinbetrieben (weniger als 10 Arbeitnehmer) ist nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts eine vorausgehende Abmahnung nicht notwendig. Auch bei Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung muss der Arbeitnehmer nicht vorher abgemahnt werden.
Irrtum 2: „Ein mündlich geschlossener Arbeitsvertrag ist unwirksam.“
Auch mündliche Vereinbarungen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber können ein wirksames unbefristetes Arbeitsverhältnis begründen. Für den Arbeitsvertrag existiert kein Schriftformerfordernis. Ein Arbeitsvertrag kann sogar stillschweigend durch einvernehmliche Arbeitsaufnahme geschlossen werden. Allerdings steht dem Arbeitnehmer nach dem Nachweisgesetz ein Anspruch auf schriftliche Fixierung des Inhalts des Arbeitsverhältnisses zu. Die Nichtbefolgung dieser Norm führt jedoch nicht zur Unwirksamkeit des (mündlich oder stillschweigend) geschlossenen Arbeitsvertrages. Zu beachten ist, dass im Gegensatz zum unbefristeten Arbeitsverhältnis ein befristeter Arbeitsvertrag nur schriftlich geschlossen werden kann. Erfolgt die Befristung nicht schriftlich, gilt das Arbeitsverhältnis als unbefristetes fort.
Irrtum 3: „Eine Kündigung kann auch mündlich erfolgen.“
Die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses kann nur schriftlich erfolgen und muss handschriftlich unterschreiben sein. Dies ergibt sich aus § 623 BGB. Dasselbe gilt für einen Aufhebungsvertrag. Eine mündliche Kündigung, eine Kündigung per SMS, E-Mail, Telefax oder das Einreichen einer Kopie reichen nicht aus. Entspricht eine Kündigung nicht der gesetzlich vorgeschriebenen Schriftform, ist sie nichtig. Das bedeutet, dass sie von Anfang an keinerlei rechtliche Wirkungen hat. Das Arbeitsverhältnis besteht unverändert fort.
Irrtum 4: „Der Arbeitgeber muss eine Abmahnung schriftlich erteilen.“
Nein, ein besonderes Formerfordernis für Abmahnungen besteht nicht. Abmahnungen von Arbeitnehmern können sowohl schriftlich als auch mündlich erfolgen. Allerdings muss auch die mündlich erteilte Abmahnung ihre Rüge- und Abmahnfunktion erfüllen, d.h. sie muss dem Arbeitnehmer klar vor Augen führen, dass bei einem erneuten, gleich gelagerten Pflichtverstoß der Verlust seines Arbeitsplatzes droht. Da sich diesbezüglich und bezüglich der tatsächlichen Erteilung der Abmahnung häufig Beweisschwierigkeiten ergeben, erfolgen Abmahnungen meist schriftlich.
Irrtum 5: „Der Arbeitnehmer hat bei Kündigung des Arbeitsverhältnisses automatisch Anspruch auf eine Abfindung.“
Das deutsche Arbeitsrecht sieht nicht vor, dass jeder Arbeitnehmer beim Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis eine Abfindung erhält. Erklärt der Arbeitgeber eine rechtmäßige und wirksame Kündigung, muss er keine Abfindung bezahlen. Bestehen hinsichtlich der Wirksamkeit der Kündigung jedoch Bedenken und klagt der Arbeitnehmer vor dem Arbeitsgericht, kann es für den Arbeitgeber sinnvoll sein, einen gerichtlichen Vergleich mit dem Inhalt zu schließen, dass das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes einvernehmlich beendet wird.
Irrtum 6: „Die Kündigung eines erkrankten Arbeitnehmers ist nicht möglich.“
Auch während des Zeitraums, in dem ein Arbeitnehmer arbeitsunfähig erkrankt ist, ist der Ausspruch einer Kündigung grundsätzlich zulässig. Ein besonderer Kündigungsschutz während der Erkrankung besteht nicht. Bei Kleinbetrieben oder kurzer Betriebszugehörigkeit ist eine Kündigung ohne Begründung zulässig, bei der Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes kann die Krankheit unter bestimmten Umständen eine Kündigung sozial rechtfertigen. Hierbei sind jedoch gewisse Anforderungen an eine krankheitsbedingte Kündigung zu beachten. Nur wenn diese Anforderungen nicht erfüllt werden, wäre die Kündigung unwirksam.
Irrtum 7: „Wenn ein Arbeitnehmer arbeitsunfähig krank geschrieben ist, muss er sich immer zuhause aufhalten.“
Das Arbeitsrecht erlaubt dem Arbeitnehmer bei Krankheit grundsätzlich alle Tätigkeiten, welche keinen negativen Einfluss auf den Heilungsprozess ausüben. Für die Erlaubnis oder das Verbot einer jeden Tätigkeit ist die Diagnose und die Entscheidung des Arztes maßgeblich. Nur wenn der Arzt Bettruhe verordnet, darf der Arbeitnehmer sich nicht außerhalb der Wohnung aufhalten. Liegt eine solche Verordnung nicht vor, ist es dem Arbeitnehmer unbenommen, die Wohnung zu verlassen, sofern er sich dabei nicht genesungswidrig verhält. Dies ist wiederum vom Einzelfall abhängig. Ein grundsätzliches Gebot, sich bei Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit nur zuhause aufzuhalten, besteht also nicht.
Irrtum 8: „Der Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers verfällt, wenn er während des Urlaubs erkrankt.“
Gemäß § 9 Bundesurlaubsgesetz werden im Falle einer ärztlich attestierten Erkrankung des Arbeitnehmers die nachgewiesenen Tage der Krankheit auf den Jahresurlaub nicht angerechnet, d.h. der Urlaubsanspruch verfällt nicht. Eine Erkrankung führt allerdings auch nicht zu einer automatischen Verschiebung oder Verlängerung des Urlaubs. Der Urlaub endet vielmehr zu dem ursprünglich festgelegten Zeitpunkt. Der wegen Krankheit nicht verbrauchte Urlaub ist zu gegebener Zeit nachzuholen.
Irrtum 9: „Nicht genommener Urlaub wird immer automatisch auf das nächste Kalenderjahr übertragen.“
Der Anspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber auf Gewährung von Erholungsurlaub besteht nach § 7 Abs. 3 Satz 1 Bundesurlaubsgesetz grundsätzlich nur während des jeweiligen Urlaubsjahrs. Der Urlaubsanspruch ist damit grundsätzlich auf das Kalenderjahr befristet. Am Jahresende offener Resturlaub wird ausnahmsweise bis zum Ende des gesetzlichen Übertragungszeitraums, d. h. bis zum 31. März des Folgejahrs befristet übertragen, soweit dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe vorliegen, die eine Übertragung rechtfertigen. Im Fall der Übertragung muss der Urlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahrs gewährt und genommen werden. Spätestens mit Ablauf des Übertragungszeitraums verfällt nicht genommener Urlaub dann grundsätzlich ersatzlos. Denkbar sind jedoch zur Übertragung von Urlaub in das nächste Kalenderjahr individualvertragliche Vereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer.
Irrtum 10: „Eine vom Arbeitgeber gezahlte Abfindung wird auf das Arbeitslosengeld angerechnet.“
Eine Anrechnung der Abfindung auf das Arbeitslosengeld findet nicht (mehr) statt. Vor einigen Jahren erfolgte tatsächlich noch eine Anrechnung von Abfindungen auf das Arbeitslosengeld. Die damalige Regelung wurde aber schon vor längerer Zeit abgeschafft. Seitdem gibt es keine grundsätzliche Anrechnung von Abfindungen auf Arbeitslosengeld mehr. Von der Anrechnung von Abfindungen auf das Arbeitslosengeld zu unterscheiden ist allerdings das Ruhen des Arbeitslosengeldes unter bestimmten Voraussetzungen.
Irrtum 11: „Eine Kündigung ohne Zustimmung des Betriebsrats ist unwirksam.“
Nach § 102 Abs. 1 Betriebsverfassungsgesetz ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung zu hören (Anhörungsrecht des Betriebsrats). Der Arbeitgeber hat ihm die Kündigungsgründe mitzuteilen. Eine ohne ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung ist unwirksam. Von dieser Anhörung ist jedoch die Zustimmung des Betriebsrats zur Kündigung zu unterscheiden. Eine konkrete Zustimmung des Betriebsrats zu einer Kündigung ist gerade nicht erforderlich. Widerspricht der Betriebsrat vorab einer Kündigung, führt dies nicht zur Unwirksamkeit der später ausgesprochenen Kündigung, der Arbeitgeber kann gleichwohl kündigen. Entscheidend für die Wirksamkeit der Kündigung ist mithin allein die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats, nicht aber eine erteilte Zustimmung durch den Betriebsrat.
Irrtum 12: „Ein Arbeitnehmer muss im Urlaub auf Abruf des Arbeitgebers zur Verfügung stehen.“
Nein, befindet sich ein Arbeitnehmer im Urlaub, muss er seinem Arbeitgeber nicht zur Verfügung stehen. Dies gilt selbst für Führungskräfte. Sobald der Urlaub dem Arbeitnehmer genehmigt wird, wird der Arbeitnehmer von der Verpflichtung zur Arbeit freigestellt. Diese Freistellung ist grundsätzlich unwiderruflich. Ein Rückruf aus dem Urlaub ist nur in echten Notfällen möglich. Eine Verpflichtung des Arbeitnehmers, sich auch während des Urlaubs für dringende Arbeiten bereitzuhalten, ist nicht möglich. Deshalb dürfen auch keine Sanktionen gegen den Arbeitnehmer verhängt werden, wenn er während des genehmigten Urlaubs nicht erreichbar ist.
Sofern zu den einzelnen Themengebieten Fragen auftreten, steht Ihnen der Verfasser gerne zu einer weiterführenden Beratung zur Verfügung.