Rechtstipp im Arbeitsrecht
Rechtsanwalt – Tipp: Arbeitsrecht - betriebsbedingte Kündigung: Bei betrieblicher Umstrukturierung neue Betriebsstruktur konkret darzustellen
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) – 2 AZR 770/09- hat für
betriebsbedingte Kündigungen klargestellt, dass in den Fällen, in denen
der Arbeitgeber behauptet, ein Arbeitsplatz sei weggefallen, weil die
anfallende Arbeit fortan auf andere Arbeitnehmer verteilt werde, der
Arbeitgeber konkret nachweisen muss, wie diese Arbeitsumverteilung
tatsächlich von Statten gehen soll. Zweifel an der Glaubhaftigkeit gehen
zu Lasten des Arbeitgebers.
I. Allgemeine Rechtslage bei betriebsbedingten Kündigungen
1. Allgemeines zum Kündigungsschutz
Soweit
das Kündigungsschutzgesetz gilt, sind betriebsbedingte Kündigungen nur
dann möglich, wenn dringende betriebliche Erfordernisse vorliegen, die
einer Weiterbeschäftigung des Mitarbeiters auf Dauer entgegenstehen.
Kommen mehrere vergleichbare Arbeitnehmer für eine Kündigung in
Betracht, muss der Arbeitgeber zur Bestimmung des zu Kündigenden eine
Sozialauswahl vornehmen: Es muss derjenige gehen, der die größten
Chancen am Arbeitsmarkt hat und für den die Entlassung die geringsten
sozialen Folgen bedeutet.Dringende betriebliche Erfordernisse
können nun sowohl außerbetriebliche Gründe sein (bsp. Auftragsmangel,
Umsatzrückgang) als auch innerbetriebliche Gründe (bsp.
Rationalisierungsmaßnahmen, Umstrukturierungen). In jedem Fall sind
diese Gründe nur dann hinreichend, wenn sie sich konkret auf die
Einsatzmöglichkeit des gekündigten Arbeitnehmers negativ auswirken.
2. Außerbetriebliche Gründe
Bei
außerbetrieblichen Gründen (Umsatzrückgang) muss der Arbeitgeber daher
nachweisen, dass Umfang und Auswirkung des Umsatzrückganges konkret die
Weiterbeschäftigung des einzelnen Nichtarbeitnehmers unmöglich macht.
Pauschale Behauptungen zu allgemeinen wirtschaftlichen Schwierigkeiten
reichen hier nicht aus. Die Darlegung und der Nachweis von
außerbetrieblichen Gründen ist angesichts hoher prozessual-formellen
Hürden in einem arbeitsgerichtlichen Verfahren vom Arbeitgeber denn auch
häufig nur äußerst schwer zu erbringen.
3. Innerbetriebliche Gründe
Bei
innerbetrieblichen Gründen ist die mangelnde
Weiterbeschäftigungsmöglichkeit dagegen nicht in äußeren objektiven
Umständen begründet –wenn auch häufig von ihnen motiviert-, sondern geht
auf eine subjektive unternehmerische Entscheidung des Arbeitgebers
zurück, bsp. auf die Entscheidung, ganze Betriebsteile stillzulegen oder
sonst den Betrieb neu und anders zu strukturieren.Seit jeher ist
nun von der Rechtsprechung des BAG anerkannt, dass die unternehmerische
Entscheidung selbst nicht justiziabel, d.h. nicht gerichtlich
anzweifelbar ist: der Arbeitgeber als Unternehmer hat einen eigenen
Entscheidungsspielraum, mit welcher Zahl an Arbeitskräften und mit
welcher Betriebsstruktur und Betriebsorganisation er welche und wieviel
Arbeit und Aufträge erledigen will.
II. Das Problem:
Der
Arbeitgeber kann daher betriebsbedingte Kündigungen viel leichter
begründen, wenn er nicht den Umweg über schwer nachweisbare
außerbetriebliche Gründe wählt, sondern den Weg über innerbetriebliche
Gründe einschlägt und hier insbesondere behauptet, ganze Abteilungen
würden geschlossen bzw. die Arbeit des gekündigten Arbeitnehmers werde
in Zukunft von anderen Arbeitnehmern miterledigt.
Das BAG ist diesem scheinbaren „Schlupfloch“ schon immer wie folgt entgegengetreten:Justiziabel
und gerichtlich überprüfbar ist trotz grundsätzlicher Freiheit der
unternehmerischen Entscheidung die Frage, ob die Entscheidung
tatsächlich zu einem dauerhaften Wegfall des konkreten Arbeitsplatzes
führt und somit einer Weiterbeschäftigung des konkreten Arbeitnehmers
entgegensteht.
Das BAG verlangt hierfür seit jeher die Darlegung einer
Prognose im Hinblick auf die dauerhafte organisatorische
Durchführbarkeit der Personalreduzierung, um offensichtlich unsachliche,
unvernünftige oder willkürliche Entscheidungen ausschließen zu können.
Fraglich
war und ist jedoch, wie konkret diese Prognose des Arbeitgebers sein
muss, wieviel Spielraum ihm hierbei zu belassen ist und insbesondere,
wie glaubhaft und nachvollziehbar die neuerliche behauptete
Betriebsstruktur ist.
So auch der konkrete Fall:
Ein
Hauswirtschaftsleiter hatte gegen seine betriebsbedingte Kündigung
geklagt: Sein Arbeitgeber hatte die unternehmerische Entscheidung
getroffen, die Stelle des Hauswirtschaftsleiters ersatzlos zu streichen.
Die bisherige Arbeit des Klägers sollte fortan auf die jeweiligen
Küchenhelfer in anderen Abteilungen verteilt werden.
Der Kläger wandte
insbesondere ein, diese Arbeitnehmer seien eh‘ schon genug ausgelastet
und könnten seine Arbeit nicht zusätzlich erledigen.
III. Entscheidung des BAG:
Das BAG erklärte die Kündigung für unwirksam:
Nach
Ansicht des BAG muss der Arbeitgeber bei einer unternehmerischen
Entscheidung zum Abbau einer ganzen Abteilung und einer Umverteilung von
Aufgaben anhand einer nachprüfbaren und konkreten Prognose angeben, wie
sich seine Organisationsentscheidung auf die Einsatzmöglichkeiten der
Arbeitnehmer auswirkt und insbesondere wie die nach wie vor anfallenden
Arbeiten vom verbliebenen Personal erledigt werden können. Hierbei muss
der Arbeitgeber auch konkret beweisen, dass und wie das verbliebene
Personal im Rahmen seiner regulären Tätigkeiten die nun zusätzliche
Arbeit wahrnehmen kann. Nach Ansicht des BAG reichen hierzu lediglich
pauschale Angaben nicht aus, es muss im Einzelnen nachprüfbar dargelegt
werden, dass das verbliebene Personal auch tatsächlich über insoweit
freie Arbeitskapazitäten überhaupt verfügt.
Dies war im
vorliegenden Fall nach Ansicht der Bundesrichter nicht gegeben, da
unklar geblieben war, welche Tätigkeiten genau auf welchen Arbeitnehmer
übertragen werden sollten und insbesondere wie überhaupt die
verbleibenden Arbeitnehmer bei bisheriger voller Auslastung nun auch
noch die neu anfallende Arbeit miterledigen sollen. Hierbei hatte das
BAG insbesondere berücksichtigt, dass die verbleibenden Arbeitnehmer
bereits in der Vergangenheit durchweg Überstunden geleistet hatten und
auch der Kläger selbst dauerhaft Soll-Stunden angehäuft hatte.
Das
BAG gelangte daher zu der Überzeugung, dass die verbleibenden
Arbeitnehmer über keine freie Arbeitszeitkapazität verfügten. Die
Darlegung des Arbeitgebers hinsichtlich des Wegfalls des Arbeitsplatzes
wurde daher als unglaubhaft und unschlüssig bewertet, so dass im
Ergebnis der Wegfall des Arbeitsplatzes nicht festgestellt werden
konnte.
V. Bewertung:
Die Entscheidung des
BAG überrascht nicht, reiht sie sich doch ein in die seit langem
kontinuierliche Rechtsprechung zur Überprüfbarkeit von unternehmerischen
Entscheidungen bei Betriebsstilllegungen, teilweisen Stilllegung und
Auflösung von Abteilungen im Rahmen von betrieblichen
Neustrukturierungen (vgl. BAG NZA 2001,535; BAG NZA 99,1095; BAG NZA
99,1157; BAG NZA 98,933). Trotz grundsätzlich fehlender Justiziabilität
von unternehmerischen Entscheidungen sind diese doch auf eventuelle
Willkürlichkeit und Unsachlichkeit zu überprüfen; insbesondere ist
gerichtlich nachprüfbar, ob die behauptete unternehmerische Entscheidung
tatsächlich einen Wegfall des Arbeitsplatzes zur Folge hat oder aber
die angebliche Umstrukturierung des Betriebes nur ein lediglicher
Vorwand ist, Kündigungen auszusprechen.
VI. Fazit:
Eine
in der Grundtendenz absolut zutreffende und wohl auch im Einzelfall
richtige Entscheidung: auch wenn die Entscheidung eines Unternehmers,
wie er seinen Betrieb führt, ihm alleine überlassen ist, kann eine
Kündigung nur dann von der Rechtsordnung akzeptiert werden, wenn auch
tatsächlich das Bedürfnis für die Beschäftigung eines Mitarbeiters
weggefallen ist. Die Freiheit von Unternehmerentscheidungen darf nicht
bedeuten, dass behauptete Umstrukturierungen einfach ohne jegliche
Überprüfung hingenommen werden müssen.Arbeitgeber sind daher gut
beraten, Umstrukturierungen des Betriebes nicht allzu leichtfertig als
willkommenen Anlass oder Grund für Kündigungen auszugeben oder zu
benutzen, sondern vor Ausspruch von Kündigungen wirklich im Detail zu
überlegen, ob die vorgegebene Neustrukturierung einer Überprüfung im
Hinblick auf Sinn und Zweck und insbesondere Plausibilität standhält.
Rechtsanwalt Mathias Henke, Dortmund