Rechtstipp im Arbeitsrecht
Kurzzeitiger Einsatz an Kasse ist keine Versetzung
Das Bundesarbeitsgericht hat mit Beschluss vom 29.09.2020 zum Aktenzeichen 1 ABR 21/19 entschieden, dass eine – für die Annahme einer Versetzung iSv. § 95 Abs. 3 BetrVG bei kurzzeitiger Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs zwingend notwendige – erhebliche Änderung der äußeren Umstände, unter denen die Arbeit zu leisten ist, nur vorliegt, wenn diese Änderung aus objektiver Sicht bedeutsam und für den betroffenen Arbeitnehmer gravierend ist. Hierbei kann auch von Bedeutung sein, wie lange der Arbeitnehmer den mit den äußeren Faktoren der Arbeit einhergehenden Belastungen ausgesetzt ist.
Die Arbeitgeberin betreibt bundesweit Einrichtungshäuser. Der antragstellende Betriebsrat ist in ihrem Einrichtungshaus in B gebildet, in dem mehr als 250 Arbeitnehmer tätig sind.
An Tagen mit besonders hohem Kundenandrang helfen Arbeitnehmer aus verschiedenen Bereichen des Betriebs bei personellen Engpässen in den Bereichen „Kasse“ und „Logistik“ kurzzeitig aus. Die Dauer dieser Einsätze liegt üblicherweise zwischen einer halben bis maximal sechs Stunden. Die betroffenen Arbeitnehmer kassieren an einer Scannerkasse oder unterstützen Kunden an den Selbstbedienungskassen. Bei einem Einsatz im Bereich „Logistik“ füllen sie entweder Regale auf der Verkaufsfläche auf, kommissionieren aufgrund von Kundenaufträgen Waren im Lager und bringen diese zur Warenausgabe oder sind am Warenausgabetresen tätig. Durch die Einsätze ändert sich weder die Lage ihrer Arbeitszeit noch die Höhe ihrer Vergütung. Die Tätigkeit im Bereich „Kasse“ zeichnet sich durch eine hohe Lärmbelästigung aus. Zudem sind die Arbeitnehmer in erhöhtem Maße dem Einfluss von Zugluft und – wie auch im Bereich „Logistik“ – Temperaturschwankungen ausgesetzt. Im Lager (Talon) können die Temperaturen im Winter auf 14 Grad Celsius fallen.
Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, bei den kurzzeitigen Einsätzen der Arbeitnehmer an den Kassen und im Bereich „Logistik“ handele es sich um Versetzungen iSd. § 95 Abs. 3 BetrVG. Es liege eine erhebliche Änderung der Umstände vor, unter denen die Arbeit zu leisten sei. Die Aushilfsarbeit unterscheide sich durch den fremdbestimmten Arbeitsrhythmus und den Kundenkontakt von den üblichen Tätigkeiten. Zudem sei vor allem der Einsatz an den Kassen mit großem Stress verbunden.
Nach der Legaldefinition in § 95 Abs. 3 Satz 1 BetrVG liegt eine nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG zustimmungspflichtige Versetzung bei der Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs vor, die die Dauer von voraussichtlich einem Monat überschreitet oder die mit einer erheblichen Änderung der Umstände verbunden ist, unter denen die Arbeit zu leisten ist. „Arbeitsbereich“ sind die Aufgabe und Verantwortung des Arbeitnehmers sowie die Art seiner Tätigkeit und ihre Einordnung in den Arbeitsablauf des Betriebs. Der Begriff ist räumlich und funktional zu verstehen. Er umfasst neben der Arbeitsleistung auch die Art der Tätigkeit und den gegebenen Platz in der betrieblichen Organisation. Um die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs handelt es sich, wenn sich das gesamte Bild der Tätigkeit des Arbeitnehmers so verändert hat, dass die neue Tätigkeit vom Standpunkt eines mit den betrieblichen Verhältnissen vertrauten Beobachters nunmehr als eine „andere“ anzusehen ist. Dies kann sich aus dem Wechsel des Inhalts der Arbeitsaufgaben und der mit ihnen verbundenen Verantwortung ergeben, kann aus einer Änderung des Arbeitsorts oder der Art der Tätigkeit, dh. der Art und Weise folgen, wie die Arbeitsaufgabe zu erledigen ist, und kann mit einer Änderung der Stellung und des Platzes des Arbeitnehmers innerhalb der betrieblichen Organisation durch Zuordnung zu einer anderen betrieblichen Einheit verbunden sein. Das Beteiligungsrecht des Betriebsrats nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG bei der Versetzung knüpft dabei ausschließlich an die tatsächliche Zuweisung eines neuen Arbeitsbereichs als Realakt an. Unerheblich für den Versetzungsbegriff des § 95 Abs. 3 BetrVG ist hingegen, ob der Arbeitgeber individualrechtlich im Verhältnis zum betroffenen Arbeitnehmer zur Versetzung befugt ist
Überschreitet die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs voraussichtlich nicht die Dauer von einem Monat, stellt dies nur dann eine Versetzung dar, wenn die Zuweisung mit einer erheblichen Änderung der Umstände verbunden ist, unter denen die Arbeit zu leisten ist. Hierbei handelt es sich um die äußeren Umstände, unter denen der Arbeitnehmer seine – ohnehin andere – Tätigkeit zu verrichten hat. Dazu zählen etwa die zeitliche Lage der Arbeit, die Ausstattung des Arbeitsplatzes mit technischen Hilfsmitteln und zudem Faktoren wie Lärm, Schmutz, Hitze, Kälte oder Nässe.
Soweit der Begriff der Versetzung iSv. § 95 Abs. 3 BetrVG unbestimmte Rechtsbegriffe enthält, steht dem Landesarbeitsgericht bei deren Prüfung ein Beurteilungsspielraum zu. Seine entsprechende tatrichterliche Würdigung ist in der Rechtsbeschwerdeinstanz nur darauf überprüfbar, ob es den Rechtsbegriff selbst verkannt, gegen Denkgesetze, anerkannte Auslegungsgrundsätze oder allgemeine Erfahrungssätze verstoßen oder wesentliche Umstände außer Acht gelassen hat.