Rechtstipp im Arbeitsrecht
Kündigung – Maßregelungsverbot
Das Landesarbeitsgericht Köln hat mit Urteil vom 11.12.2020 zum Aktenzeichen 10 Sa 551/20 entschieden, dass das Fernbleiben von der Arbeit wegen Arbeitsunfähigkeit keine Rechtsausübung im Sinne des § 612 a BGB darstellt.
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit der außerhalb der Geltung des Kündigungsschutzgesetzes ausgesprochenen arbeitgeberseitigen ordentlichen Kündigung vom 03.12.2019 und den hiervon abhängigen Fortbestand des Arbeitsverhältnisses bis 31.03.2020 sowie entsprechender weitergehender Zahlungsansprüche.
Der Kläger war als Feinmechaniker im Betrieb des Beklagten tätig. Im Betrieb des Beklagten waren lediglich einschließlich des Klägers zwei angestellte Mitarbeiter tätig. Gemäß § 2 des schriftlichen Arbeitsvertrages der Parteien vom 23.06.2017 galt im Arbeitsverhältnis der Parteien nach Ablauf der Probezeit eine Kündigungsfrist von vier Wochen zum Monatsende.
Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger durch das Schreiben vom 03.12.2019 zum 31.12.2019. Die Kündigung ist dem Kläger am 04.12.2019 zugegangen.
Der allgemeine Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz greift vorliegend im Arbeitsverhältnis der Parteien nicht ein, da im Betrieb des Beklagten nicht die erforderliche Mitarbeiterzahl im Sinne des § 23 KSchG beschäftigt ist. Neben dem Kläger war lediglich ein weiterer Mitarbeiter beim Beklagten tätig.
Die Kündigung erweist sich auch nicht wegen Verstoß gegen das Maßregelungsverbot gemäß § 612 a BGB als unwirksam.
Nach der Norm des § 612 a BGB, die einen Sonderfall der Sittenwidrigkeit betrifft, darf der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer nicht deshalb bei einer Maßnahme benachteiligen, weil der Arbeitnehmer in zulässiger Weise seine Rechte ausübt. Als „Maßnahmen“ im Sinne des § 612 a BGB kommen nur Kündigungen in Betracht. Zwischen der Benachteiligung und der Rechtsausübung muss ein unmittelbarer Zusammenhang bestehen. Die zulässige Rechtsausübung muss der tragende Beweggrund, d. h. das wesentliche Motiv für die benachteiligende Maßnahme sein. Es reicht nicht aus, dass die Rechtsausübung nur den äußeren Anlass für die Maßnahme bietet. Ist der Kündigungsentschluss des Arbeitgebers nicht nur wesentlich, sondern ausschließlich durch die zulässige Rechtsverfolgung des Arbeitnehmers bestimmt gewesen, so deckt sich das Motiv des Arbeitgebers mit dem objektiven Anlass zur Kündigung. Es ist dann unerheblich, ob die Kündigung auf einen anderen Kündigungssachverhalt hätte gestützt werden können, weil sich ein möglicherweise vorliegender anderer Grund auf den Kündigungsentschluss nicht kausal ausgewirkt hat und deshalb als bestimmendes Motiv für die Kündigung ausscheidet. Eine dem Maßregelungsverbot widersprechende Kündigung kann deshalb auch dann vorliegen, wenn an sich ein Sachverhalt gegeben ist, der eine Kündigung des Arbeitgebers gerechtfertigt hätte. Während das Kündigungsschutzgesetz auf die objektive Sachlage zum Zeitpunkt der Kündigung nicht auf den Beweggrund der Kündigung durch den Arbeitgeber abstellt und deswegen das Nachschieben materieller Kündigungsgründe – unbeschadet betriebsverfassungsrechtlicher Vorschriften – insoweit zulässig ist, schneidet § 612 a BGB die Kausalkette für andere Gründe ab, die den Kündigungsentschluss des Arbeitgebers nicht bestimmt haben. Kausal für die Kündigung ist dann vielmehr allein der ausschließliche Beweggrund der unzulässigen Benachteiligung gewesen (vgl. BAG, Urteil vom 22.05.2003 – 2 AZR 426/02 – m. w. N.).
Den klagenden Arbeitnehmer trifft die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass er wegen seiner Rechtsausübung von dem verklagten Arbeitgeber durch den Ausspruch der Kündigung benachteiligt worden ist. Hierzu hat der Arbeitnehmer unter Beweisantritt einen Sachverhalt vorzutragen, der einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Kündigung durch den Arbeitgeber und einer vorangehenden zulässigen Ausübung von Rechten indiziert. Der Arbeitgeber hat sich sodann nach § 138Absatz 2 ZPO im Einzelnen zu diesem Vortrag zu erklären (vgl. BAG, Urteil vom 23.04.2009 – 6 AZR 189/08 -, Randziffer 13).
Zu prüfen ist, ob das Fernbleiben von der Arbeit wegen Arbeitsunfähigkeit einer Rechtsausübung im Sinne des § 612 a BGB darstellt und eine Kündigung wegen der Anzeige der Arbeitsunfähigkeit ein Verstoß gegen das Maßregelungsverbot im Sinne der vorgenannten Vorschrift darstellen kann.
Hierzu wird die Auffassung vertreten, dass auch außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes eine Kündigung, die der Arbeitgeber als unmittelbare Reaktion auf eine Krankmeldung des Arbeitnehmers ausspricht, wegen Verstoß gegen das Maßregelungsverbot des § 612 a BGB unwirksam sein kann (vgl. Arbeitsgericht Trier, Urteil vom 08.12.2011 – 3 Ca 936/11 -; Arbeitsgericht Berlin, Urteil vom 11.04.2014– 28 Ca 19104/13 – ). Hierbei ist aber zu berücksichtigen, dass das Arbeitsgericht Trier im Urteil vom 08.12.2011 darauf abstellt, dass der Kündigungsgrund für den Arbeitgeber offenbar nicht die Krankheit des Mitarbeiters als solche war, sondern vielmehr der Umstand der Krankmeldung und seines Fehlens im Betrieb trotz krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit, wofür auch gesprochen habe, dass der Kläger trotz Krankheit den Arbeitsplatz nicht habe verlassen dürfen, ohne dass der Beklagte hierfür irgendeine Begründung abgegeben hätte. Das Bundesarbeitsgericht hat im Urteil vom 23.04.2009 (6 AZR 189/08) ein Verstoß gegen das Maßregelungsverbot nach § 612 a) BGB für den Fall angenommen, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer zunächst gedroht hat, das Arbeitsverhältnis zu kündigen, wenn der Arbeitnehmer nicht trotz Arbeitsunfähigkeit zur Arbeit erscheint, und dann die Kündigung unmittelbar nach der Weigerung des Arbeitnehmers, die Arbeit aufzunehmen, erfolgt ist. Das Bundesarbeitsgericht hat dabei auf den unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang zwischen der Drohung und dem Zugang der Kündigung hingewiesen, der den Schluss rechtfertige, dass die Kündigung auf der Weigerung der Mitarbeiterin beruhe, trotz Arbeitsunfähigkeit zur Arbeit zu erscheinen. Diese Konstellation ist vorliegend ohne weiteres nicht anzunehmen. Der Kläger hat nicht dazu vorgetragen, dass der Beklagte die Arbeitsunfähigkeitsmeldung nicht akzeptiert habe und ihn trotz mitgeteilter Arbeitsunfähigkeit aufgefordert habe, dennoch zur Arbeit zu erscheinen.
Die 4. Kammer des Landesarbeitsgerichts Köln hat im Urteil vom 15.05.2020(4 Sa 693/19) darauf abgestellt, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des Maßregelungsverbots nach § 612 a BGB nicht vorliegen, wenn ein Arbeitnehmer erkrankt, da er mit dem „Kranksein“ kein Recht geltend mache, sondern wegen der infolge Krankheit bestehenden Arbeitsunfähigkeit außerstande sei, seine arbeitsvertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen (§ 275 Absatz 1 BGB). Der faktische Zustand „Kranksein“ sei keine Ausübung eines Rechts, sondern vermittele nur ein „Recht zum Fernbleiben“ wegen subjektiver Unmöglichkeit im Sinne des § 275 Absatz 1 BGB. Anknüpfungspunkt für eine nach § 612 a BGB zu beurteilende Kündigung wegen „Krankseins“ könne daher erst die Negation der sich aus diesem Zustand ergebenden Rechte durch den Arbeitgeber in einem zweiten Schritt sein, welches dann wiederum mit einer entsprechenden „Ausübung“ durch den Arbeitnehmer beantwortet werden müsse, um durch die weitere Reaktion des Arbeitgebers in den Anwendungsbereich des § 612 a BGB zu gelangen. Es verstoße nicht gegen das Maßregelungsverbot des § 612 a BGB, wenn einem Arbeitnehmer, für den das Kündigungsschutzgesetz nicht anwendbar sei, während einer Erkrankung (oder sogar wegen Erkrankung) gekündigt werde, was alleine schon aus einem Umkehrschluss aus der gesetzlichen Regelung des § 8 EFZG folge, nach dessen Absatz 1 Satz 1 der Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts nicht dadurch berührt werde, dass der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit kündige.
Der 4. Kammer des Landesarbeitsgerichts ist zu folgen, da die Auslegung des Begriffs „Rechtswahrnehmung“ im Sinne des § 612 a BGB nicht ohne den Zusammenhang mit der Regelung der Entgeltfortzahlung im Fall der Anlasskündigung nach § 8 EFZG vorzunehmen ist. § 612 a BGB erfasst nicht die Reaktion des Arbeitgebers auf den Eintritt der Erkrankung bei einem seiner Arbeitnehmer als solche und dem daraus folgenden Recht, der Arbeit fernzubleiben. Dies ist aus § 8 EFZG zu schließen. § 612 a) BGB ist dann einschlägig, wenn das aus der Arbeitsunfähigkeit folgende Recht zum Fernbleiben von der Arbeit vom Arbeitgeber verneint wird und dann die Sanktionierung der entsprechenden Rechtswahrnehmung durch den Arbeitnehmer durch eine Kündigung erfolgt.
Eine solche Motivation ist vorliegend auch nicht aus dem Gespräch der Parteien vom 09.12.2019 – hinsichtlich des Freistellungsanspruchs bei Erkrankung der Kinder – zu schließen. Aus dem vom Kläger geschilderten Gesprächsinhalt ist vielmehr zu folgern, dass der Beklagte grundsätzlich einen solchen Freistellungsanspruch erkennt, die betrieblichen Folgen hieraus für den Betrieb aber womöglich negativ beurteilt. Daraus ist nicht zu schließen, dass er sich in einem solchen Fall der Freistellung des Arbeitnehmers verweigern würde. Zudem ist zu berücksichtigen, dass das Gespräch vom 09.12.2019 erst nach Ausspruch und Zugang der Kündigung vom 03.12.2019 erfolgt ist und somit kein hinreichendes Indiz für den bei Ausspruch der Kündigung vorliegenden tragenden Beweggrund zum Ausspruch der Kündigung darstellt.