Rechtstipp im Arbeitsrecht
Keine Kündigung bei Androhung der Arbeitsunfähigkeit
Das Landesarbeitsgericht Köln hat mit Urteil vom 30.08.2022 zum Aktenzeichen 4 Sa 803/21 entschieden, dass ein Arbeitgeber einen Arbeitnehmer nicht verhaltensbedingt wegen der Androhung einer Arbeitsunfähigkeit kündigen konnte.
Die Berufungskammer ist in Übereinstimmung mit der Beklagten sowie mit dem Arbeitsgericht und der höchstrichterlichen Rechtsprechung der Auffassung, dass die Ankündigung einer zukünftigen, im Zeitpunkt der Ankündigung nicht bestehenden Erkrankung durch den Arbeitnehmer für den Fall, dass der Arbeitgeber bestimmten Verlangen des Arbeitnehmers nicht nachkommt, ohne Rücksicht auf eine später tatsächlich auftretende Erkrankung an sich geeignet ist, sogar einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung und damit erst Recht für eine ordentliche Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen abzugeben. Die Pflichtwidrigkeit der Ankündigung einer Krankschreibung bei objektiv nicht bestehender Erkrankung im Zeitpunkt der Ankündigung liegt in erster Linie darin, dass der Arbeitnehmer mit einer solchen Erklärung zum Ausdruck bringt, er sei notfalls bereit, seine Rechte aus dem Entgeltfortzahlungsrecht zu missbrauchen, um sich einen unberechtigten Vorteil zu verschaffen. Mit einem solchen Verhalten verletzt der Arbeitnehmer seine aus der Rücksichtnahmepflicht folgende Leistungstreuepflicht erheblich. Zugleich wird durch die Pflichtverletzung das Vertrauen des Arbeitgebers in die Redlichkeit und Loyalität des Arbeitnehmers in schwerwiegender Weise beeinträchtigt, so dass in einer solchen Erklärung regelmäßig auch ohne vorausgehende Abmahnung ein die außerordentliche Kündigung an sich rechtfertigender verhaltensbedingter Grund zur Kündigung liegt. Da der wichtige Grund zur Kündigung in der ausdrücklich oder konkludent erklärten Bereitschaft des Arbeitnehmers zu sehen ist, sich die begehrte Freistellung notfalls durch eine in Wahrheit nicht vorliegende Arbeitsunfähigkeit zu verschaffen, kommt es nicht mehr darauf an, ob der Arbeitnehmer später (zufällig) tatsächlich erkrankt oder nicht. Auch bei tatsächlich bestehender Erkrankung ist es dem Arbeitnehmer aufgrund des Rücksichtnahmegebots verwehrt, die Krankheit und ein sich daraus ergebendes Recht, der Arbeit fern zu bleiben, gegenüber dem Arbeitgeber als „Druckmittel“ einzusetzen, um den Arbeitgeber zu einem vom Arbeitnehmer gewünschten Verhalten zu veranlassen.
Es kann nicht mit hinreichender Sicherheit davon ausgegangen werden, dass der Kläger eine künftige, nicht bestehende Erkrankung angedroht hat bzw. androhen wollte für den Fall, dass die Beklagte nicht kündigt und ihm eine Abfindung zahlt oder ihn versetzt.
Zu Recht ist das Arbeitsgericht davon ausgegangen, dass die Beklagte keine Formulierung vorträgt, die auf eine Drohung, eine Erkrankung vorzutäuschen und Entgeltfortzahlung zu kassieren, schließen lässt. Auch zur Feststellung einer „sinngemäßen“, nicht „plumpen“ Drohung des Klägers käme es auf den Wortlaut an. Entgegen der – (auch) im Kammertermin des Berufungsverfahrens geäußerten – Auffassung der Beklagten hinsichtlich der Feststellung dessen, was der Kläger gesagt habe, könne der Zeuge E S gehört werden, wäre es Sache der Beklagten gewesen, eine konkrete Äußerung des Klägers vorzutragen, die – ausdrücklich oder sinngemäß – eine Drohung mit einer Krankmeldung trotz nicht bestehender Krankheit darstellt. Nach diesem Wortlaut ohne entsprechenden Vortrag den Zeugen E S zu befragen, würde einen unzulässigen Ausforschungsbeweis darstellen. Insoweit fehlt es an der Bestimmtheit der zu beweisenden Tatsachen. Der diesbezüglich erforderliche konkrete Sachvortrag könnte daher allenfalls erst auf der Grundlage der Zeugenaussage erfolgen. Der Beweisantritt der Beklagten in erster Instanz, auf den die Beklagte in der Berufungsinstanz Bezug nimmt, dient somit letztlich der Ausforschung von Tatsachen, die es ihr erst ermöglichen könnten, die behauptete Drohung des Klägers substantiiert vorzutragen. Das Beweisangebot stellt sich somit als unzulässiger Ausforschungsbeweisantrag dar.
Nach der von der Beklagten herangezogenen Entscheidung des BAG vom 23.04.2009 – 6 AZR 189/08 unter Verweis auf die Entscheidung des BGH vom 11.07.2007 – IV ZR 112/05 gilt:
„Notwendiger Inhalt eines Beweisantrags ist die spezifizierte Bezeichnung der Tatsachen, welche bewiesen werden sollen. Eine Partei genügt der Substantiierungspflicht, wenn sie Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte Recht als in ihrer Person entstanden erscheinen zu lassen, wobei unerheblich ist, wie wahrscheinlich die Darstellung ist und ob sie auf eigenem Wissen oder einer Schlussfolgerung aus Indizien besteht. Genügt das Parteivorbringen diesen Anforderungen an die Substantiierung, kann der Vortrag weiterer Einzeltatsachen nicht verlangt werden. Es ist vielmehr Sache des Tatrichters, bei der Beweisaufnahme die Zeugen oder die zu vernehmende Partei nach allen Einzelheiten zu fragen, die ihm für die Beurteilung der Zuverlässigkeit der Bekundungen erforderlich erscheinen. Der Pflicht zur Substantiierung ist mithin nur dann nicht genügt, wenn das Gericht aufgrund der Darstellung nicht beurteilen kann, ob die gesetzlichen Voraussetzungen der an eine Behauptung geknüpften Rechtsfolgen erfüllt sind.
Das Gericht kann aber im vorliegenden Fall aufgrund des Vortrags der Beklagten – der sinngemäßen, zusammengefassten und interpretierten Darstellung des behaupteten Telefonats – gerade nicht beurteilen, ob – bzw. davon ausgehen, dass – der Kläger mit einer Krankschreibung drohen wollte. Entsprechende Tatsachen hat die Beklagte vorliegend gerade nicht vorgetragen.
Zudem ist auch nach dem Vortrag der Beklagten unklar, ob das Gespräch vor oder nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit des Klägers am 28.05.2021 geführt wurde.
Nur ergänzend sei darauf hingewiesen, dass der Zeitablauf zwischen dem streitgegenständlichen Gespräch bis zum Ausspruch der Kündigung dagegen spricht, dass der Personalreferent E S die in dem Gespräch getätigten Äußerungen des Klägers dahin gehend verstanden hat, dass der Kläger Rechte aus dem Entgeltfortzahlungsrecht missbrauchen wolle, um sich unberechtigte Vorteile zu verschaffen. Nach dem Vortrag der Beklagten habe Herr E S sich erkundigt, welchen Betrag die Beklagte bereit sei, dem Kläger im Rahmen einer einvernehmlichen Aufhebung des Arbeitsverhältnisses zu zahlen. Ende Juni wurde dem Kläger dann ein Aufhebungsvertrag mit Beendigung ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist und ohne Vereinbarung einer Abfindung übersandt. Erst mit Datum vom 06.08.2021 sprach die Beklagte die streitgegenständliche Kündigung aus, nachdem „die Geduld der Beklagten erschöpft“ gewesen sei.